
Was sich seit dem vergangenen Jahr abzeichnete, bewahrheitet sich nun final: Die Situation in der Ukraine zwischen der Regierung, den separatistischen Volksrepubliken und Russland spitzt sich erheblich zu, vor allem der Monat Februar markierte bisher die größte Eskalation zwischen den verschiedenen Fraktionen: Ununterbrochen wird die inzwischen 190.000 Soldaten zählende russische Armee vor den Toren der Ukraine in Bereitschaft versetzt und verstärkt, während russische Medien und die Volksrepubliken ihre aggressive Rhetorik gegenüber den Feinden intensivierten. Die Frontlinien in der Ukraine haben die schwersten Kämpfe der letzten vier Jahre erlebt, während die Milizen von Donezk und Lughansk vermelden, Infiltrationen ukrainischer Spezialeinheiten verteiltet und Pläne einer ukrainischen Großoffensive aufgedeckt zu haben. Nun ruft der Vorsitzende der Donezker Volksrepublik die eigene Bevölkerung zur Evakuierung nach Russland auf. Ein Ende dieser Eskalationsspirale scheint nicht absehbar, jedoch wird ein Krieg immer wahrscheinlicher.
Da der Ukrainekonflikt seit acht Jahren quasi eingefroren war, hat es keinen großen Knall benötigt, um ihn wieder neu zu entfachen. Eine sukzessive Zunahme der Gefechte in der Ostukraine hat gereicht, um eine erneute und eventuelle Intervention in der Ukraine für Russland zu legitimieren, nachdem Präsident Wladimir Putin zuvor von einem vermeintlichen Genozid an der russischen Bevölkerung und Angriffsplänen seitens der ukrainischen Regierung sprach. Freitag Morgen kam es zu den schwersten Scharmützeln seit 2018, als Milizen der Volksrepubliken begannen, entlang der gesamten Frontlinie Artillerie und Mörser zu nutzen, nachdem am Tag zuvor ein Aufständischer durch Scharfschützenfeuer getötet wurde.
Daraufhin nahmen die Berichte von vereitelten Infiltrations- und Anschlagsplänen durch das ukrainische Militär zu, welche jedoch wenig glaubwürdig erschienen. So konnten beispielsweise Kämpfer der Lughansker Volksrepublik eine Geheimmission ukrainischer Spezialeinheiten stoppen, welche angeblich mehrere Treibstofflager zerstören wollten. Als Beleg erschien wenige Stunden später ein Video welches die Gefechte belegen soll. Jedoch bestehen erhebliche Zweifel an der Echtheit, unter anderem aufgrund abgehakter Explosionsgeräusche und dem erheblichen Einsatz von Leuchtspurmunition, um die Inszenierung zu verstärken. Kurz darauf gab es weitere Meldungen von einem Angriff auf ein Ammoniaklager, nachdem der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge polnische Terroristen eine Geheimoperation planten. Vereinzelt und isoliert wirken diese Angaben wenig seriös, jedoch in ihrer Gesamtheit vermitteln sie ein Bild eines aktiven Aggressors, womit jegliche Verteidigung, bis hin zu einem russischen Militäreinsatz, legitimiert wird.
Denn damit begründet der Vorsitzende der Donzeker Volksrepublik, Denis Puschilin die vor wenigen Stunden angekündigte Evakuierung der gesamten Bevölkerung nach bzw. in Richtung Russland. Ihm zufolge konnten ukrainische Pläne erfolgreich abgefangen werden, die eine groß angelegte Militäroffensive seitens der Armee vorsieht. Auf den gleichen Narrativ gingen kurz darauf andere Politiker der Volksrepubliken, Putin und Lukaschenko ein. Damit findet das genaue Gegenteil westlicher Berichterstattung statt: Während z.B. amerikanische Medienhäuser davon sprechen, dass russische Militärverbände entlang der Grenzregion sich in Angriffsstellung befinden, sind Puschilin demnach in Wirklichkeit die ukrainischen Streitkräfte, welche sich in Kampfpositionen bereitgestellt haben.
Trotz der vorausgegangenen Berichterstattung in den russischen Medien und Meldungen über einen gezielten Völkermord und die Zerstörung alles Russischen bleibt fragwürdig, wie groß die Unterstützung eines militärischen Einsatzes dieser Dimension ist, da sie wohl wenig verlustreich verlaufen wird. Bereits der Einsatz in Syrien war relativ unbeliebt inoffiziellen Umfragen zufolge, jedoch war die Anzahl von Toten sehr gering und die Militärintervention insgesamt ein erfolgreicher Einsatz. Hinzu kommt noch, dass zwischen der Ukraine und Russland das Verhältnis von zwei „Bruderstaaten“ besteht und auch interfamiliäre Kontakte eng miteinander verwoben sind. Hinzu kommt, dass Russland und Verbündete erst vor wenigen Monaten mit Unruhen in Belarus und Kasachstan zu kämpfen hatten, was den Sicherheitsapparat weiter schwächen wird.
Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 190.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen. Die darauffolgenden Entwicklungen sind weithin bekannt.