
Mit dem Sieg der Taliban in Afghanistan sehen sich islamistische Kräfte in dem ebenfalls von einem Krieg betroffenen Land Syrien bestärkt in ihrer Haltung, trotz ausbleibender Gewinne den Dschihad hier und woanders weiterzuführen. In der gesamten nordwestsyrischen Provinz Idlib, welche als Letzte ausschließlich von der syrischen Opposition kontrolliert wird, kam es zu Paraden und Feierlichkeiten, aus jeder Moschee ertönten Freudenrufe. Gerade die größte islamistische Gruppierung in Syrien, Tahrir al-Sham (ehemals bekannt unter den Namen Fateh al-Sham und Jabhat al-Nusra, nationaler al-Qaida-Ableger), weiß die Situation für sich moralisch und propagandistisch auszunutzen. Nichtsdestotrotz könnte der Sieg der Taliban mittel- und langfristig die syrische Opposition schwächen, abhängig von den konkreten Politiken in Afghanistan.
In den größten Städten der Provinz, darunter die gleichnamige Landeshauptstadt Idlib, führte Tahrir al-Sham (HTS) mit ihren Unterstützern Sieges- und Militärparaden durch, an einigen Orten wurden an Checkpoints Süßigkeiten anlässlich des Taliban-Sieges verteilt. Letzteres besitzt eine große Tradition in Syrien, beispielsweise kam es bei der syrischen Regierung zu dem gleichen Szenario nachdem man einen israelischen F16-Kampfjet über syrischem Luftraum abschießen konnte. In vielen Moscheen wurde das Geschehen ebenfalls zelebriert mit dem „Takbirat“-Rufen, an anderen Orten wurden die Shahada-Flagge der Taliban gehisst.
Obwohl der „Erfolg“ in Afghanistan ähnlich stark wie in Sieg in Syrien gefeiert wird, könnte sich die Situation negativ für die syrischen Islamisten entwickeln. Sollte die Taliban zum Status Quo der Jahrtausendwende zurückkehren, könnte das Land im Mittleren Osten zum Hort und Rückzugsort internationaler dschihadistischer Kräfte werden. Eine Rolle, die bisher Syrien bzw. die Provinz Idlib einnehmen konnte. Beispielsweise „migrierte“ die chinesisch-uigurische Terrormiliz der „Islamische Turkestan-Partei“ von Afghanistan nach Syrien, nachdem sie regelmäßig von den USA angegriffen wurden. Der Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges erzeugte damit ein Machtvakuum, wodurch viele islamistische Organisationen von Afghanistan zurückweichen konnten, auch relevante al-Qaida-Kader und insbesondere Islamisten aus Zentralasien, z.B. Usbekistan. Sollten diese in ihr „Ursprungsland“ zurückkehren, würden in Idlib wichtige Kräfte fehlen, denn gerade Dschihadisten gehören dank ihrer jahrzehntelangen Erfahrung zu den effektivsten Einheiten der Opposition.
Seit Jahren ist Tahrir al-Sham die dominante Kraft in der Provinz Idlib, an ihr führt kein Weg vorbei. Nicht nur militärisch, auch wirtschaftlich kontrollieren sie die Region mit starker Hand, teilweise unterhalten sie dabei auch Unterstützung und Bewegungsfreiheit durch die Türkei. Dennoch stehen sie im Konkurrenzverhältnis mit der „Syrischen Nationalarmee“ (SNA), welche von der türkischen Regierung von Beginn an aufgebaut und ausgebildet wurde und als direktester Stellvertreter des nördlichen Nachbarlandes agiert. Viele sehen im Verhältnis zwischen der Türkei und HTS bzw. al-Julani eine ähnliche Beziehung wie zwischen Russland und dem tschetschenischen Präsidenten Kadyrow oder der USA und dem ehemaligen somalischen Präsidenten Sharif Ahmed: Staatliche Unterstützung und weitgehende Autonomie im Tausch dafür, dass radikalere Kräfte in Schach gehalten werden.
Hallo, den Begriff „Opposition“ für einen Haufen terroristischer Gruppen zu verwenden, halte ich für problematisch. Auch wenn der Begriff von den Medien quasi vorgegeben wurde.
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Opposition und Islamisten, Terroristen etc. schließen sich ja meiner Meinung nach nicht aus, Opposition ist einfach ein neutraler und recht wertfreier Oberbegriff, der zugegebenermaßen aber recht irreführend sein kann. Ich denke ich habe im Rest des Artikels ganz gut dargestellt, dass es sich hierbei nicht um irgendwelche demokratischen Oppositionsparteien handelt 🙂
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