
Unermüdlich kommt es in der armenischen Region Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan zu schweren Gefechten, die inzwischen zu Hunderten Toten und enormer Zerstörung auf beiden Seiten geführt haben. Während das aserbaidschanische Militär und die armenische Regierung neue Erfolge vermelden, kommt es zu immer stärkeren Übergriffen auf das armenische Territorium, welches bisher weitgehend außen vor war. Sollten die Angriffe auf Armenien zunehmen, könnte das den Bündnisfall mit Russland auslösen, welche zwei Militärbasen in dem Kaukasusstaat besitzen, während die Türkei ihre Unterstützung für Aserbaidschan verstärken könnte. Die Aussicht auf Frieden ist trotz diplomatischer Bemühungen kaum existent.
Trotz ausgerufener Waffenruhe gehen die Kämpfe entlang weiten Teilen der Front weiter. Gerade der Süden Bergkarabachs und die Umgebung der Stadt Hadrut ist weiterhin der Schauplatz der brutalsten Gefechte im gegenwärtigen Krieg. Armenien kann weiterhin den Ort erfolgreich verteidigen, während Aserbaidschan weiter östlich von neuen Erfolgen berichtet und eigenen Angaben zufolge acht Dörfer erobern konnte. Während es in den großen Städten Karabachs vergleichsweise ruhig in der vergangenen Nacht war, wurde im Nordosten ein Krankenhaus bombardiert. Die armenischen Verluste verlaufen sich offiziellen Meldungen nach auf über 400, während Aserbaidschan weiterhin keine Zahlen veröffentlicht. Armenische Medien haben jedoch knapp 680 Soldaten Aserbaidschans und über 100 syrische Söldner identifizieren können, die getötet wurden.
Aserbaidschan macht inzwischen immer weniger davor Halt, auch das armenische Kernterritorium anzugreifen, statt sich nur mit der Region Bergkarabach zu vergnügen. So bestätigte das aserbaidschanische Verteidigungsministerium, mehrere „mobile Raketenstartrampen“ für ballistische Raketen im Nordosten Armeniens nahe dem Dorf Sotk attackiert zu haben, ohne jedoch nähere Details vom Erfolg veröffentlicht zu haben, wohl auch in der Hoffnung, zumindest öffentlich das Einhalten der Waffenruhe zu beachten. Diese Raketen wurden angeblich bereits mehrmals gegen die zweitgrößte Stadt Aserbaidschans, Ganja, eingesetzt und beschädigten dabei neben mehreren Militärbasen auch Wohnhäuser. Zwar gab es Angriffe auf armenische Gebiete bereits bei dem Ausbruchs des Konfliktes, jedoch nehmen diese Aktionen mit fortschreitendem Verlauf zu.
Theoretisch könnte die armenische Regierung dieses Vorgehen als Angriff auf die eigene Souveränität bewerten, was wiederum zur Aktivierung des Militärbündnisses mit Russland führen würde. Dies ist jedoch bisher nicht geschehen, wie das Verteidigungsministerium auch offiziell bestätigte. Über die Hintergründe lässt sich nur spekulieren, womöglich will die russische Führung nicht in eine Position versetzt werden, in der sie aktiv in den Krieg auf eine Seite eingreifen, obwohl sie eigentlich zu beiden Konfliktparteien gute Beziehungen unterhalten. Dafür könnte Armenien bis dato unbekannte Eingeständnisse erhalten, damit sie den Bündnisfall nicht auslösen und Russland auf eine rein diplomatische Rolle begrenzen.
Diese Diplomatie der russischen Führung beschränkt sich derzeit größtenteils auf das Verhandeln einer Waffenruhe. Dringend notwendig seien gemeinsame Anstrengungen, teilte der Kreml mit. Nur so könne das Blutvergießen beendet werden. Putin äußerte sich nach einem Telefonat mit seinem türkischen Kollegen Erdogan. Es sei „die Hoffnung geäußert“ worden, dass die Türkei im Rahmen der so bezeichneten Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) „einen konstruktiven Beitrag zur Deeskalation des Konflikts leisten wird“. In diesem Format wird seit langem in dem jahrzehntealten Konflikt vermittelt. Im Raum stehen auch potentielle russische Soldaten, die die Waffenruhe durch ihre Präsenz an den Frontlinien durchsetzen wollen. Parallel dazu sind französische Diplomaten in Jerewan gelandet, während die Türkei den eigenen Luftraum für griechische Diplomaten und Hilfslieferungen an Armenien gesperrt hat.
Erneut ist der Iran Betroffener des aserbaidschanisch-armenischen Konfliktes, vor allem da Bergkarabach direkt an der Grenze zum Iran liegt. In den vergangenen Wochen wurden bereits mehrfach Drohnen im iranischen Luftraum abgeschossen, zudem trafen mehrmals Mörser und Artillerie Wohnhäuser nahe der Grenze, in dessen Folge mehrere Zivilisten verletzt wurden. Am Mittwoch konnte die iranische Luftabwehr nun eine israelische Kampfdrohne des Typs „IAI Harop“ abschießen, welche sich nun im Gewahrsam der iranischen Regierung befindet. Sollte sich das Wrack in irgendeiner Weise wiederverwerten lassen, wäre das ein großer Schlag für Israel, welches den wohl größten Feind des Irans darstellt. Zwar verfügt Teheran bereits über eine effektive Drohnenflotte, wie sie bereits im Jemen und Irak bewiesen haben, jedoch gehören derartige UAVs wie Harop nicht dazu.