Was kommt nach Aleppo? Mögliche Szenarien

Die erfolgreiche Operation in Ost-Aleppo befreit nun zwischen 20.000-25.000 Soldaten, Hunderte Panzer und Transporter der Syrisch-Arabischen Armee (SAA). Darunter fallen auch Eliteeinheiten wie die „Tiger Forces“ unter dem legendären Suleil al-Hassan, Teile der Republikanische Garde, oder die 14th Division. An welchen Fronten könnten die Einheiten in den folgenden Wochen und Monaten nun eingesetzt werden? Anmerkung: Natürlich werden Einheiten nur teilweise an verschiedene Fronten verlegt, alle 20.000 Soldaten werden nicht an einer Front eingesetzt werden.

Ost-Ghouta

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Seit einem halben Monat gibt es Gerüchte darüber, dass die dort stationierten Republikanischen Garden in Mitte Dezember eine erneute Großoffensive starten wollen, um zumindest die wenig urbanen Gebiete Ghoutas zu erobern und damit langfristig die Zentren wie Douma oder Irbeen zur Aufgabe zu zwingen. Ost-Ghouta ist landwirtschaftlich äußerst fruchtbar und eine Hochburg der Opposition seit Anbeginn des Konfliktes. Die hohe Fruchtbarkeit der Region sorgte dafür, dass die über 2 Jahre andauernde Belagerung keine signifikanten Vorteile brachte.. Seit einigen Monaten gibt es aber immer wieder Erfolge der SAA, die den Kessel um etwa ~30% verringerten. Erfahrung die in Ost-Aleppo gesammelt wurde ist also vonnöten in Ost-Ghouta, vor allem wenn man auch die urbanen Zentren erobern will.

Wahrscheinlichkeit: Sehr wahrscheinlich.


Palmyra/Ost-Homs

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In den letzten 2 Tagen konnte Daesh eine große Menge an Boden gut machen und die bekannte und prestigeträchtige Wüstenstadt Palmyra/Tadmur erobern. Während die momentanen Eroberungen aus militärischer Sicht eher irrelevanter Natur sind, steht Daesh kurz vor den Toren der T4-Luftbasis. Diese schwer befestigte Basis ist eine der wichtigsten Militärbasen der syrischen Regierung und öffnet Tor und Tür nach Homs, der zentralen Provinz in Syrien. Um die dortigen Gebiete nicht zu gefährden wurden bereits verschiedene SAA-Einheiten (z.B. 11th Division) und Milizen (Qalamoun Shield, Homs Leopards) in die Gegend versandt. Wie für kritische Situationen üblich gibt es Gerüchte darüber, dass die Tiger Forces dorthin verlagert werden sollen. Auch sind Milizen wie Suqur al-Sahara eine Option, die sehr professionalisiert in dem gebirgigen Territorium dort sind. Ob die dortigen Einheiten das Ziel der Rückeroberung von Palmyra haben ist aber unklar, möglicherweise dienen sie auch einfach nur der Gebietssicherung. Es sollte aber klar sein, das möglichst schnell gegen Daesh dort vorgegangen werden muss, bevor sie Fallen, Sprengkörper etc. aufstellen können.

Wahrscheinlichkeit: Sicher. 


Deir ez-Zor

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Eine Operation in Richtung Deir ez-Zor ist sehr abhängig von der obigen Palmyra-Operation.  Deir ez-Zor ist seit einigen Jahren eine Exklave entlang des Euphrates, mitten im Daesh-Territorium. Dort kämpfen die am besten ausgebildeten Einheiten der Republikanischen Garden unter dem Kommando von Issam Zahreddine, ebenso berühmt und berüchtigt wie Suleil al-Hassan. Auch sind verschiedene Teile der Hisbollah dort inzwischen aktiv.  Während die Frontlinien relativ stabil sind, setzen die ständigen Offensiven von Daesh und der amerikanische Luftschlag einst deutlich zu. Eine Beendigung der Belagerung würde sehr effektive Einheiten befreien und eine Position in Ostsyrien sichern.

Problem ist: Um dorthin zu gelangen, muss man über 200km Wüste von Palmyra nach Deir ez-Zor erobern. Nicht nur wäre dies ein extrem langes Unterfangen und würde die Grenzen überdehnen, auch ist das dortige Terrain sehr begünstigend für Daesh. Sie würden ständig die einzige Straße dorthin überfallen und damit die dortigen Einheiten schwächen. Der Aufwand wäre die Priorität nicht wert.

Wahrscheinlichkeit: Sehr unwahrscheinlich.


Latakia

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Latakia war schon lange keine aktive Front mehr. Nach der Wiedervereinigung von Aleppo könnte nun die letzte größere Stadt und Provinz Idlib ins Fadenkreuz der SAA rücken. Um Idlib unter Druck zu setzen benötigt man zwei Seiten: Aleppo (siehe unten) und das Jabal al-Akrad-Gebirge bei Latakia. In einem Zangenangriff könnte man sowohl vom Osten, als auch vom Westen attackieren. Um diesen Plan zu erfüllen benötigt man Jisr al-Shughur (siehe Karte), die „Heimatbasis“ von dschihadistischen Uiguren aus China. Wie die letzte Schlacht um al-Shughur bewiesen hat sind die Berge westlich der Stadt essentiell für deren Eroberung. Verschiedene Einheiten wie Suqur al-Sahara oder die Marineeinheiten der SAA haben Erfahrung im Terrain von Latakia, dementsprechend wäre eine Verschiebung dorthin möglich. Ob aber diese Priorität wirklich existiert, oder Latakia weiterhin eine ruhige Front bleibt, ist abzuwarten.

Wahrscheinlichkeit: Eher unwahrscheinlich.


al-Bab/Raqqah

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Raqqah und al-Bab sind zurzeit die prestigeträchtigsten Ziele der Türkei und der USA, die in beiden Fällen ihre syrischen Vertreter  einsetzen um dieses Ziel zu verwirklichen. Al-Bab ist das ultimative Ziel der Türkei, die Kurden bzw. SDF zu schwächen und einen Zusammenschluss der Kantone in Nordsyrien zu verhindern. Während die SAA seit einigen Wochen kurdische Milizen auf vielfältige Weise unterstützen und teilweise sogar eigene kurdische Milizen aus der NDF und LDF bei der Eroberung einsetzen, hat man selber natürlich ebenfalls Ambitionen die Stadt oder zumindest deren Umland zu erobern. Eine Eroberung würde das sofortige Ende der Operation „Euphrates Shield“ der Türkei bedeuten, da die Türkei kein besonderes Interesse hat gegen die syrische Regierung aktiv zu kämpfen und die islamistischen Milizen dort ohne türkische Unterstützung absolut verloren/inkompetent sind. Ansonsten könnte man möglicherweise einen Deal mit der SDF verhandeln, die das dortige Gebiet zu einer „neutralen Zone“ o.Ä. verwandeln könnte.

Raqqah als faktische Hauptstadt des IS ist ebenfalls Ziel der SDF und seit 3 Tagen in einer zweiten Phase zur Isolation der Stadt (bisher wurden 16 Dörfer erobert) involviert. Für die SAA existiert natürlich auch ein reges Interesse an der Stadt als ehemalige Regierungshochburg wie jede Großstadt. In dem Falle aber geht es nicht unbedingt um die Stadt, sondern um den Weg dahin bis maximal Taqba mit seinem Staudamm. Die Kuweires-Luftbasis (die für über 3 Jahre belagert und dann gerettet wurde) ist der perfekte Ausgangspunkt dafür, es gibt bereits Gerüchte über den Artilleriebeschuss von Deir Hafer. Auf dem Weg liegt einerseits die sichere Wasserversorgung Aleppos vom Euphrat, die fruchtbaren Deir Hafer-Felder und die Jirah-Luftbasis, die effektiv im Kampf gegen Daesh genutzt werden könnte. Außerdem wird dadurch der Weg der TFSA (Oppositionelle der „Operation Euphrates Shield“) in Richtung Raqqah versperrt, welches für Erdogan auch eines seiner selbsterklärten Ziele ist. Auch würde die SAA sich den Wüstenkampf weiter südlich sparen.

Wahrscheinlichkeit: Wahrscheinlich.

Aleppo-Provinz

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Nach dem Kampf ist vor dem Kampf heißt es für Aleppo, von der Stadt könnten die Kämpfe nun in der restlichen Provinz weitergeführt werden. Ebenfalls wie in Latakia könnte hier das langfristige Ziel die Eroberung Idlibs sein, welches 2015 an das dschihadistische Bündnis Jaysh al-Fateh verloren wurde. Nahe Idlib befinden sich die schiitischen Dörfer Karfarya & Fu’uah, die letzten Positionen der Regierung in der Provinz Idlib. Beide Dörfer werden bisher vor allem mit einer Luftbrücke zumindest notdürftig versorgt und den Schutz übernehmen die NDF und schiitische Milizen aus der Region. Während sozusagen ein Tauschhandel zwischen den beiden Orten und Madaya & Zabadani durch Regierung und Opposition stattfindet (z.B. in Form von Verletzte evakuieren, Hilfslieferungen, die alleinige Existenz ist dadurch ermöglicht), kam es seit den Fortschritten in Ost-Aleppo zu einer gewissen Eskalation: Mörser- und Artilleriebeschuss, die NDF nahm 3 Fateh al-Sham-Kämpfer fest in der Zeit (Einer davon ist Tschechene).

Auf der anderen Seite könnte ganz simpel das Umland von Aleppo gesichert werden, damit nicht eine erneute Blamage wie 2012 in Aleppo geschehen kann. Aussichtsreich ist dort der Norden entlang von Nubl und Zaahra (welche in den letzten Tagen massiv beschossen wurden und über 30 tote Zivilisten zu beklagen hatte) und ganz Südaleppo, wo eine große Menge an schiitischen und zumeist irakischen Milizen aktiv sind. Eine Frühjahrsoffensive in der Gegend zeigte bereits ein Potential für mögliche Eroberungen.

Wahrscheinlichkeit: Relativ wahrscheinlich.

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