Ein Konter auf Todenhöfer’s Konter

Nach erheblicher Kritik (auch meinerseits) an seinem neuesten Interview gegenüber einem angeblichen Jabhat Fateh al-Sham (JFS)-Kommandanten scheint er auf die Widerlegungen zu reagieren und veröffentlichte selber eine Gegenargumentation gegenüber dieser Kritik. Ein Gegenargumentationsgegenargumentationsversuch.

„Dass Jabhat Al Nusra (Al Qaida) das Interview bestreiten würde, war von Anfang an klar. Die Offenheit, mit der ein einfacher, nicht hochrangiger Kommandeur, über die wahren Ziele von Al Qaida sprach, muss der obersten politischen Führung äußerst unangenehm sein. Der US-Regierung geht es genauso. Der Al Qaida-Kommandeur spricht aus, was eigentlich die ganze Welt vermutet.“

Abgesehen von der fehlenden Differenzierung zwischen al-Qaida und Fateh al-Sham [1] der sich scheinbar über den gesamten Text hinwegzieht, handelt es sich bei dem Argument nicht um die Verifizierung irgendeiner Behauptung, sondern wird einfach eine weitere These in den Raum geworfen. Natürlich hat ein niederer Kommandant (Abu al-Ezz soll angeblich rund ~200 Mann befehligen) der außerdem in einem Interview „anyonym“ bzw. verkleidet erscheint wesentlich niedrigere Hemmungen den Plänen der JFS-Politik zum Ausdruck zu bringen. Es stellen sich nur mehrere Fragen: Wie schafft es die USA einerseits als gemeinsamer Feind von JFS dazustehen (vor allem aufgrund von Verhandlungen mit Russland), sie mehrmals mit Luftschlägen angegriffen zu haben und weitere nationale Flügel von al-Qaida wie in Jemen, oder Afghanistan anzugreifen aber zugleich als größter Waffenlieferant, Ausbilder und grundsätzlich Unterstützer dazustehen? Ebenfalls könnte der Kommandant aufgrund seiner relativ niedrigeren Position ganz simpel keinerlei Ahnung von den machtpolitischen Machenschaften der oberen Ebenen haben und seine Rhetorik einfach aus reinem „Machogehabe“ bestehen. Eine wesentlich bessere Frage wäre außerdem, wie gelingt es der USA von der vergleichsweise „moderateren“ und bewiesenermaßen unterstützten FSA in al-Rai verjagt zu werden, aber scheinbar Seite an Seite mit al-Qaida-Mitgliedern auszukommen? Ganz zu schweigen davon, dass aufgrund der amerikanischen Präsenz in al-Rai einerseits mehrere Gruppierungen (u.a. Ahrar al-Sharqya) sich aus dem Gebiet zurückzogen und sogar die Gruppe Suqur al-Sham sich von Ahrar al-Sham abgespaltet hatte, um später dann der islamistischen Jaysh al-Fateh beizutreten. Ebenfalls drohte ein Gründer von der zweitgrößten Oppositionsgruppe Ahrar al-Sham Abu al-Abbas al-Shami gegenüber der USA und bezeichnete deren Präsenz in al-Rai als Okkupation.

Nun soll also die Opposition überhaupt gegen eine Präsenz der USA sein, aber gerade der ehemalige, syrische al-Qaida-Ableger JFS/al-Nusra lebt friedlich und koexistent neben amerikanischen und israelischen Ausbildern, deren größten Feinden neben der syrischen Regierung? [2]

„Zur Identität des Al Qaida- Kommandeurs. Wir haben seine Identität genau recherchieren können und wissen praktisch alles über ihn. Auch über seinen privaten Hintergrund. Das Interview wurde über einen Rebellen aus Aleppo arrangiert. (Ich habe seit Jahren Kontakte zu syrischen Rebellen.) Es fand außerdem an einem Ort in unmittelbarer Sicht-und Schussweite von Jabhat al Nusra statt, den nur ein Mitglied von Al Nusra gefahrlos erreichen konnte. Ein Teil seiner Aussagen wurde darüber hinaus kurz darauf vom Al Nusra-Mufti von Aleppo fast wörtlich bestätigt.“

Im momentanen Zeitpunkt reine Phrasenschlagerei und in keinster Weise für eine Diskussion hilfreich, da keinerlei Beweise für diese Behauptung vorgelegt werden. Sollte Todenhöfer tatsächlich über diese Informationen verfügen wären sicherlich alle erfreut Diese auch zu erfahren.

Der zweite Teil ist wiederum ein wenig verwirrend, welche Qualitäten und Fähigkeiten besitzt JFS um diverse Gebiete gefahrlos zu erreichen, andere Teile der Opposition hingegen nicht respektive die Regierung? Ebenfalls erwähnte er dass das Interview im Niemandsland entstanden ist, inwiefern kann JFS also einfach „gefahrlos“ erreichen? Eine Erklärung wäre dort ebenfalls wünschenswert.

Besonders heftig irrt sich der Herr ‚Geolocator‘. Der Schmarren, den er erzählt, ist richtig peinlich.

Er hat offenbar nicht einmal meinen Text zum Video gelesen. Das Interview fand – so mein Text – ‚im Niemandsland zwischen den Fronten‘ – statt. Niemand hat an irgendeiner Stelle behauptet, der Steinbruch sei Rebellengebiet.

Abgesehen davon dass der Herr Todenhöfer in eine gewisse Polemik in dem Punkt verfällt: Der Steinbruch befindet sich auch nicht im Niemandsland (Dieses ist eher weiter nördlich bei dem Sheikh-Saeed-Distrikt zu finden), sondern fest in Regierungshänden. Wie bereits vorgezeigt wird ein Niemandsland wohl höchst wahrscheinlich nicht zivil und landwirtschaftlich genutzt werden, geschweige würde sich dort völlig unbeschwert ein ziviler PKW oder mehrere JFS-Kämpfer bewegen können. Dies wäre nur möglich wenn dort wohl seit Langem eine Waffenruhe initiiert worden wäre, was definitiv nicht der Fall ist/war.

Wir waren südwestlich von Aleppo , und nicht südlich, wie vom Geolocator behauptet wird.

Der Geolocator behauptet, wir hätten unser Interview beim Haraybel Checkpoint geführt. Das ist falsch. Wir haben das Interview in Wirklichkeit bei Khan Tuman aufgenommen. Unsere Satellitenbilder zeigen nicht nur genau wo wir waren, sondern auch, dass das Gebiet nicht unter der Kontrolle der syrischen Armee ist.

Der Ort, den er nennt, unterscheidet sich auch farblich vom Ort des Interviews. ‚Unser‘ Steinbruch war, wie Ihr in dem Interview sehen könnt, schneeweiß, nur ein kleiner Fleck war schwarz. Während die Location des ‚Geolocators‘ nur außen hell und innen dunkel ist.

Nun, die Steingruben östlich von Khan Thouman bestätigen seinen Tenor von Niemandsland, auch wenn diese Gegend dort zurzeit zu den am härtesten Umkämpften zählt. Wie oben bereits erwähnt wäre ein derart freies Geleit bei absoluter Ruhe und einem einfachen PKW sehr unwahrscheinlich. Ich möchte mich gar nicht lange dort mit der Geolocation aufhalten (es wurden ja auch keine Bilder widerlegt), da bereits der angebliche JFS-Kommandant in seinen letzten Sätzen diese gesamte Behauptung widerlegt:“Wir sind hier auf der vordersten Beobachtungsstation im Gebiet „Scheikh Said“ […] Hinter den Häusern und in Al Majbal sind die Regime-Soldaten.“ [3] Damit widerlegt Abu jegliche Behauptung von einem Interview selber, Khan Thouman ist weit von Sheikh Saaed entfernt, vor allem keine 200 Meter wie das Gespräch weiter fortgeführt wird.

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Freddy hat noch mehr Videos, die den Weg zu ‚unserem‘ Steinbruch genau zeigen. Dass wir jetzt derartige Details rauskramen müssen, um Al Qaida, seine Propagandisten und einige Ignoranten zu widerlegen, ist eigentlich Zeitdiebstahl.

Ergebnis: Manche Dinge kann man eben nicht am Computer herausfinden, sondern man muss höchstpersönlich seinen Arsch unter großen Risiken in die Kriegsgebiete bewegen. Computer-Helden machen das leider nie. Und das ist nicht geschenkt, das ist dilettantisch und unverantwortlich.
Ich muss offenbar noch viel häufiger aus dieser Region berichten. Die Unwissenheit einiger Kritiker tut fast schon weh. Insoweit war mein Konter eigentlich viel zu nett. Ich möchte auch einmal ganz offen sagen,dass ich Zeit meines Lebens auf der Suche nach der Wahrheit war. Und bin. Das gilt auch für meine Reisen und Recherchen in Syrien. Manche Wahrheiten sind leider unbequem, das weiss ich auch. Trotzdem werde ich das, was ich nach sorgfältiger Recherche als wahr erkannt habe, immer aussprechen. Ich halte das für meine Pflicht. Auch wenn es Kritik hagelt.

Ergebnis: Todenhöfer hat in seinem neuen Kommentar die zwar simpelsten und offensichtlich falschen Gegenargumente (z.B. Goldring, Bärte, SAA-Uniformen) widerlegt, dennoch konnte er weiterhin keinerlei Beweise für die aussagekräftigste Theorie bringen: Dass der Interviewort in Regierungsterritorium war. Er kündigt weitere Beweisvideos an, ob Sie seine Behauptung von Khan Thouman unterstützt oder sich mit der Aussage noch weiterhin blamiert, bleibt offen. Ich denke wir können alle gespannt auf diese „rausgekramten“ Videos freuen, sie werden höchst wahrscheinlich Licht ins Dunkle bringen…auf die eine oder andere Weise.

Anmerkungen:

[1] Ohne Frage besitzt JFS weiterhin enge Beziehungen zur offiziellen al-Qaida & Mitgliedern, die von beiden Seiten unterstützte Teilung hat aber vor allem taktische Gründe wie ich 2 Wochen vor der offiziell verlautbarten Aufspaltung schrieb. Dennoch ist der Austritt und Übertritt wie z.B. nach Jund al-Aqsa von al-Qaida-Mitgliedern genauso ein relevanter Faktor, vor allem auf machtpolitischer Ebene unter al-Joulani herrscht eine Diskrepanz zu al-Qaida. Beide im gleichen Sinne zu nennen wäre insofern derart undifferenziert wie „PKK=PYD“. Nicht falsch, aber sachlich auch nicht richtig.

[2] Es ist ebenfalls außer Frage dass JFS Unmengen an amerikanischen Waffen (vor allem TOW’s) besitzt. Diese sind aber nicht wie dargestellt durch direkte Wege bei JFS gelandet, sondern ist dies vor allem durch arabische Länder, Erbeutungen und FSA-Gruppierungen erhalten.

[3] Ebenfalls wurde in dem Interview der Ort „al-Majbal“ erwähnt, der aber in dieser Schreibform in Aleppo weder existiert, noch sich irgendwo in Südaleppo befindet. Möglicherweise handelt es sich um den Ort „al-Majdal“ im Norden Aleppos nahe dem zentralen Gefängnis der Stadt. Ironischerweise gibt es dort ebenfalls einige Steingruben. Höchst wahrscheinlich handelt es sich um al-Ma’amel südlich von Sheikh Saeed.

[4] Mit Textteilen die ich nicht näher beleuchtet habe/nicht zitiert habe gehe ich grundsätzlich d’accord und/oder wurden sie bereits thematisiert.

Todenhöfer interviewte kein Mitglied von al-Nusra

Der Journalist Jürgen Todenhöfer ist berühmt für seine investigativen Interviews im Nahen Osten, sei es mitten im von Daesh beherrschten Raqqa oder für Journalisten unzugängliche Gebiete im Irak. Nun soll ihn ein neuer Coup gelungen sein: Ein Interview mit einem Kommandanten der „Jabhat Fateh al-Sham“ (JFS), früher bekannt als syrischer al-Qaida-Ableger „al-Nusra“ mitten im belagerten Ostaleppo. Doch inzwischen verdichten sich die Beweise, dass Todenhöfer weder im von der Opposition gehaltenen Aleppo war, geschweige einen JFS-Kommandanten interviewte, sondern sich mitten in den von der Regierung gehaltenen Teile von Aleppo befand.

 

Der Anfang macht das Ende des Videos, es zeigt den simpelsten visuellen Eindruck vom Standort des Interviews. Die letzten 10 Sekunden zeigen höchst wahrscheinlich die Abreise vom Schauplatz des Geschehens. Es ist klar ersichtlich dass das Auto sich auf dieser Straße südwärts in Richtung des militärischen „Haraybel-Checkpoints“ bewegt. Dieser Checkpoint hat eine leicht zu identifizierbare Struktur, wie man z.B. klar ersichtlich in diesem Video von einer normalen Perspektive erblicken kann. Hier nun der einfache Vergleich eines Screenshots vom Video:

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 Aus der Fahrtrichtung und der Position zu entnehmen befindet sich der nächste Steinbruch direkt nördlich, auch bekannt als Ayn as-Safeer-Steinbruch. Die ersten 25 Sekunden des Videos genügen um zu erkennen von welcher Position des Steinbruchs die Kameraufnahmen gedreht wurden:
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Um nochmal sicherzugehen wurde ein ähnliches Bild von der Fahrt (in dem Steinbruch) und dem Versteck genommen:
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Das wichtige Detail was bis jetzt nicht erwähnt wurde: Dieser Steinbruch ist seit Monaten in Hand der Syrisch-Arabischen Armee bzw. der syrischen Regierung. Während sich der Steinbruch zwar sehr nahe den Frontlinien in Südaleppo befindet, zeigen Satellitenaufnahmen eindeutig die zivile Nutzung dortiger Straßen und landwirtschaftlicher Nutzung des Gebietes. Insofern scheint entweder kein Interesse an dem Beschuss dort zu liegen, oder die Frontlinien befinden sich weiter entfernt. Möglicherweise ist die militärische Priorität dort auch unsagbar gering, gerade in Zeiten der Belagerung gibt es relevantere Positionen.
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Position des Steinbruches in Aleppo

Zusammenfassung: Bereits der Standort des Interviews lässt die Chance auf ein wirklich authentisches Gespräch zu einem JFS-Kommandaten als verschwindend geringen erscheinen. Dennoch gibt es durchaus weitere Aspekte die gegen Todenhöfer’s Behauptung sprechen.

 

Ein populäres Argument welches gegen die Thesen des Interviews sprechen ist der Goldring des JFS-Kommandaten „Abu al-Ezz“. Goldschmuck gilt nach streng orthodox-islamischer Lehre als absolut verboten. Wieso sollte also ein Islamist des JFS mit klaren Verbindungen zu al-Qaida solchen Schmuck tragen? Nun, zwei wichtige Faktoren werden dort außer Acht gelassen: Einerseits sind Goldringe in Syrien bei Männern ein absolut normales und beliebtes Accessoire, insofern auch von eher konservativeren Personen getragen wird. Andererseits ist das Tragen von Goldringen durch Islamisten tatsächlich nichts Seltenes: Bereits Osama bin Laden trug sehr gerne einen Goldring und weiteren Schmuck.

 

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Auch die offizielle „Medienabteilung“ für Fateh al-Sham behauptet niemals ein Interview mit einem deutschen Journalisten geführt zu haben. Relevant ist dabei zu erwähnen, dass JFS offizielle englische Vertreter besitzt die eigentlich derartige Medienangelegenheiten wie z.B. Interviews regeln. Dass sich ein Kommandant zufällig aufgrund von guten Beziehungen von Todenhöfer für ein Interview bereit erklärt hat ist nicht unmöglich, angesichts der sonstigen Handhabung aber recht unwahrscheinlich.

Weiterhin könnte man auch diverse Aussagen innerhalb des Gespräches als äußerst dubios bezeichnen. Während noch vor einigen Wochen JFS in einem Positionspapier Russland und die USA als Verbündete und zwei Seiten der selben Medaille bezeichnet hatte, müsste sich die Ansicht um 180° gedreht haben, was doch aufgrund der Feindschaft und vereinzelter Luftangriffe auf JFS durch die USA als sehr unwahrscheinlich erscheint. Auch ist die Behauptung von ausländischen Ausbildern & Experten zur Unterstützung von islamistischen Kräften eher eine propagandistische Erfindung des Irans, als dass es tatsächlich dafür konkrete Beweise gibt. Ebenfalls würde niemals eine islamistische Gruppierung derart öffentlich ihre Beziehungen zum Westen/USA preisgeben, die USA gilt der Opposition als gemeinsamer Feind, man erfreut sich aber natürlich an amerikanischer Ausrüstung, hinterrücks aber machen die Gruppen keinen Hehl aus ihrer antiamerikanischen Rhetorik.

 

Letzten Endes kann man wohl zusammenfassen, dass die Wahrscheinlichkeit eines verifizierten, authentischen Gespräches zwischen Todenhöfer & JFS sehr unwahrscheinlich ist, wie ebenfalls die zahlreichen Beweise zeigen. Die konkretere Frage sollte also dementsprechend lauten: Wurde Todenhöfer angelogen oder wollte er uns anlügen?

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