
Am 7. Februar veröffentlichte die NGO Amnesty International den Report „Human Slaughterhouse: Mass Hangings and Extermination at Saydnaya Prison, Syria“, welcher versucht durch Zeugenaussagen einen Massenmord von 5.000 bis 13.000 Personen im „Militärgefängnis“ von Seydnaya zu rekonstruieren. Dabei entstehen verschiedene Fehler und Widersprüche, die einer näheren Recherche nicht standhalten und im folgenden Artikel erläutert wird.
Zunächst wird die Methodik näher erläutert: Innerhalb eines Jahres (Dezember 2015-Dezember 2016) wurden insgesamt 84 Personen näher befragt, welche sich in folgende Gruppierungen unterteilen:
- 31 Gefangene, die von 2011 bis 2015 inhaftiert waren
- 4 ehemalige Beamte oder Wachen des Gefängnisses
- 3 ehemalige Richter, wovon Einer im Militärgericht im al-Mazzeh-Viertel in Damaskus arbeitete
- 3 Doktoren, die im Militärkrankenhaus Tishreen (Damaskus) arbeiteten
- 4 Anwälte
- 17 „nationale und internationale Experten für syrische Haftmaßnahmen“, z.B. Beobachter und Analysten
- 22 Familienmitglieder, wo Angehörige weiterhin im Saydnaya-Gefängnis inhaftiert sein sollen
Die Befragungen/Interviews fanden in ihrer Mehrheit im Ausland statt, namentlich im Süden der Türkei, Jordanien, der USA, oder Libanon, wo laut AI auch der Großteil der Befragten lebt. Durch Telefonate konnten aber auch Personen erreicht werden, die weiterhin in Syrien wohnen. Dabei wurde nicht näher erläutert, ob sich diese Personen im Territorium der Regierung, oder Opposition aufhalten würde. Die interviewten Personen wurden durch enge Kontakte mit verschiedenen Oppositionsgruppen und NGOs gefunden, genannt wurden: Urnammu for Justice and Human Rights, the Syrian Network for Human Rights und das Syrian Institute for Justice and Accountability. Diese Namen erwecken bereits ein gewisses Misstrauen, wenn man tiefere Nachforschungen über sie anstellt:
„Urnammu for Justice and Human Rights“ besitzt keinerlei Präsenz, weder scheint es eine Adresse, Mitglieder, noch eine Internetseite zu geben. Sie taucht nur namentlich des Öfteren in einer Liste von NGOs auf, die gegenüber der UN ein entschiedeneres Vorgehen in Syrien fordert.
„Syrian Network for Human Rights (SNHR)“ ist hingegen innerhalb der oppositionellen Nachrichtenagentur ein bekannter und berüchtigter Name. Die SNHR ist dafür bekannt, mindestens 92% aller zivilen Verluste der syrischen Regierung zuzuschieben. Russland soll sogar in weniger als einem Jahr mehr Zivilisten getötet haben als der Islamische Staat in seiner gesamten Existenz. Ein näherer Blick auf ihre Methodik erklärt solche Ergebnisse: Eine getötete Person und der verursachte Grund wird insofern in der Statistik aufgenommen, wenn es 2 Berichte dazu gab. Es findet insofern keine wirkliche Verifizierung statt, sondern man übernimmt einfach die Medienberichte. Da deren „Aktivisten“ (falls sie überhaupt über welche besitzen, selber gibt es dazu keine Angaben) wohl in den Gebieten der Opposition leben, fallen äußerst selektive Berichte von Toten an. Im gleichen Atem lehnt SNHR Berichte von syrischen Staatsmedien kategorisch ab. Die UN selber hat bereits vor Jahren aufgehört, sie als Quelle für Tote zu benutzen. Sie weist im übrigen auch eine ähnliche Struktur auf wie die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ und wird nur von einer Person, Fadel Abdul Ghani, geführt. Angeblich lebt er ebenfalls in Großbritannien.
Besonders pikantes Detail der Person: Fadel Abdul Ghani weist enge Beziehungen zum „National Council of Resistance of Iran“ auf, welche wiederum Teil der „Volksmujahideen“ im Iran ist, einer von der USA von 2003 bis 2012 anerkannten, terroristischen Gruppierung. Dies änderte sich erst durch Hillary Clinton, die UN bezeichnet sie weiterhin als „involviert in terroristischen Aktivitäten“.
Das „Syrian Institute for Justice and Accountability“ ist hingegen wieder ein unbeschriebenes Blatt, bis auf einige Seiten in sozialen Netzwerken (z.B. Facebook) findet man nicht viel über sie. Die Vorwahl ihrer Telefonnummer (+90 53) deutet auf die Türkei hin, wo sie auch gegründet wurde
Die gezeigten „Quellen“ von Amnesty International zeugen als nicht gerade von einem seriösen Eindruck, geschweige einer gewissen Objektivität. Gerade der Aufenthalt dieser NGOs außerhalb Syriens erzeugt einen fragwürdigen Einblick auf die methodische Arbeit von AI. Ebenfalls sind ausländische Geldgeber all dieser Organisationen wohl bekannt, genauso das Ziel einer gewissen Agenda. Sollten solche Agenturen tatsächlich die beste Quelle für ehemalige Gefangene sein?
Ein weiterer interessanter Aspekt der Methodik ist die Anzahl der getöteten Personen im Zeitraum des Septembers 2011 bis Dezember 2015. Die große Differenz von 5.000 bis 13.000 Toten kam durch Hochrechnungen zustande, welche sich auf verschiedene Zeugenaussagen berufen. Diese Zeugen können nur maximal 4 Personen sein, wenn man einen Blick auf die befragten Gruppen wirft (Gefängnisbeamte und -wächter). Schätzungen von Gefangenen sind dabei nicht hilfreich und/oder zielführend, da sie noch weniger korrekte Aussagen tätigen können. Auch diese Zahlen sind reine Schätzungen und können nicht näher verifiziert werden. Dies macht sich vor allem auch in der Rhetorik auf Seite 17 bemerkbar:
People who worked within the prison authorities at Saydnaya told Amnesty International that extrajudicial executions related to the crisis in Syria first began in September 2011. Since that time, the frequency with which they have been carried out has varied and increased. For the first four months, it was usual for between seven and 20 people to be executed every 10-15 days. For the following 11 months, between 20 and 50 people were executed once a week, usually on Monday nights. For the subsequent six months, groups of between 20 and 50 people were executed once or twice a week, usually on Monday and/or Wednesday nights. Witness testimony from detainees suggests that the executions were conducted at a similar – or even higher – rate at least until December 2015. Assuming that the death rate remained the same as the preceding period, Amnesty International estimates that between 5,000 and 13,000 people were extrajudicially executed at Saydnaya between September 2011 and December 2015.
Die verschiedenen Variablen und Schätzungen zeigen klar ersichtlich, inwiefern und wie sehr man hier von reinen Schätzungen abhängig ist. Diese Schätzungen werden aber von AI zum Fakt erhoben und daraus ausgehend werden die Toten über den gesamten Zeitraum rechnerisch erfasst (Fußnote 40):
These estimates were based on the following calculations. If between seven and 20 were killed every 10-15 days from September to December 2011, the total figure would be between 56 people and 240 people for that period. If between 20 and 50 were killed every week between January and November 2012, the total figure would be between 880 and 2,200 for that period. If between 20 and 50 people were killed in 222 execution sessions (assuming the executions were carried out twice a week twice a month and once a week once a month) between December 2012 and December 2015, the total figure would be between 4,400 and 11,100 for that period. These calculations produce a minimum figure of 5,336, rounded down to the nearest thousand as 5,000, and 13,540, rounded down to the nearest thousand as 13,000.
Wenn selbst innerhalb den (angeblichen) Mitarbeitern des Gefängnisses eine solche Unklarheit von den exekutierten Menschen in einem bestimmten Zeitraum herrscht, wie könne dann Amnesty irgendwelche verifizierbare Zahlen über einen längeren Zeitraum publizieren?
Wenig später (s. 40) gibt es eine interessante Behauptung, dass Amnesty International mit der Unterstützung der SNHR 375 Tote nach eigener Angabe „verifizieren“ konnte, die sich im Zeitraum zwischen März 2011 und Oktober 2016 ereignet haben sollen. Interessanterweise sollen all diese Personen (davon 317 Zivilisten, 39 Militärmitgliedern und 19 Mitgliedern von oppositionellen Gruppierungen) nicht durch Exekution, sondern durch Folter und Misshandlung verstorben sein. Interviewte Gefangene haben weitere 36 Namen an getöteten Personen angegeben, die AI ohne große Überprüfung ebenfalls in ihre Liste der „verifizierten Tode“ aufnahm. Es ist interessant zu lesen, dass die SNHR scheinbar Hunderte an getöteten Gefangenen und ihren Todesgrund ermitteln kann. Wieso war das für die restlichen 13.000 nicht möglich?

Ein weiterer Knackpunkt der Analyse sind die angeblichen „Massengräber“, wo die >5.000 exekutierten Gefangenen angeblich vergraben wurden. Als Beweis werden Militärfriedhöfe für „Märtyrer“ (sprich: gefallene Soldaten) vorgezeigt, die im Laufe der Jahre erweitert wurden. Tatsächlich werden dafür Satellitenbilder von vor dem Ausbruch des Syrischen Konfliktes (2010) und 2016 verglichen, die Gründe für ein derartiges Resultat sollten klar ersichtlich sein.
Über den gesamten Report zieht sich auch der Vorwurf hinweg, dass im Saydnaya-Militärgefängnis lediglich Zivilisten, Journalisten, politische Dissidenten, Demonstranten, „Menschenrechtsverteidiger“, Studenten, Doktoren und internationale Hilfsarbeiter (S. 6) eingesperrt wurden. Ein Blick zurück auf 2011 (wo auf internationalen und oppositionellen Druck viele politische Gefangene freigelassen wurden) erzeugt ein wesentlich anderes Bild, prominente Beispiele an Gefangenen lesen sich als das Who’s Who der syrischen Islamisten:
- Zahran Alloush, ehemaliger Anführer von Jaysh al-Islam, bekannt dafür alawitische Familien in Käfige zum Schutz vor Luftschlägen gesteckt zu haben. Drohte stets mit einer „Säuberung“ von Damaskus (Vertreibung/Genozid an religiösen Minderheiten)
- Hassan Aboud, ehemaliger Anführer der zweitgrößten Gruppe Ahrar al-Sham. Beziehungen zu al-Qaida
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Abu Yahia al-Hamawi, derzeitiger Anführer von Ahrar al-Sham
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Abu Mohammad al-Adnani, ehemaliger Pressesprecher des Islamischen Staates
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Abu Luqman, Gouverneur von al-Raqqah (Islamischer Staat)
In dem Kontext ist auch ein Interview eines ehemaligen Gefangenen wichtig, welches 2015 bei al-Jazeera stattfand. Ergebnis: 98% aller Gefangenen sind Islamisten, die Ausnahmen bilden die Gefangen aus der Syrisch-Arabischen Armee. Kleine Randnotiz: Auf Seite 28 sagt AI, dass keine der getöteten Gefangenen fotografiert wurde, da die Militärpolizei keine Gründe für die Ermordung bräuchte. Dies ist ein starker Gegensatz zu den angeblichen Caesar-Berichten, wo alle ermodeten Personen fotografiert wurden.
Ein anderer, ehemaliger Gefangener veröffentlichte ebenfalls ein Facebook-Beitrag zum Bericht von Amnesty International, welcher nicht glimpflich ausfällt. Nizar Nayyouf war vor einigen Jahrzehnten eine bekannte linke Größe in Syrien, wurde aber durch die Ba’ath-Regierung zu mehrmaligen Gefängnisaufenthalten gezwungen, darunter auch für 10 Monate in Saydnaya. Dort startete er eine Revolte und besitzt insofern mehr Kenntnisse über das Gebäude, auch wenn – angenommen die heutigen Zustände sind zutreffend – man damals scheinbar wesentlich liberaler in den Gefängnissen war. Später begab er sich nach Frankreich ins Exil. Heute ist er weiterhin ein Kritiker der syrischen Regierung, aber genauso wenig ein Freund der Opposition. Er hat in seinem Beitrag folgende, relevante Punkte angesprochen:
- AI verwechselt das „rote“ und das „weiße“ Gefängnisgebäude. Das weiße Gefängnisgebäude ist das große Weiße in Form eines „Mercedes-Symbols“
- das große Gebäude kann unmöglich (wie behauptet) 10.000 Gefangene besitzen. Das Gebäude wurde für 3000 Gefangene konzipiert und selbst bei folgender „Stapelung“ wie im Bericht beschrieben könnten es maximal 4500 Inhaftierte werden (30 pro Zelle)
- im roten Gebäude (dem Kleinen, wo angeblich die Exekutionen stattfinden) sind inzwischen die Kleinverbrecher, Militärangehörige usw. inhaftiert
- das rote Gebäude kann maximal 1800 Gefangene beherbergen
- die Vorwürfe von Vergewaltigungen sind schwachsinnig, es gab zwar Vorfälle von „Vergewaltungsarten“ mit verschiedenen Gegenständen (z.B. Falschen), aber keine im „traditionellen Sinne“
- Das Militärgefängnis Saydnaya existiert als Name nicht, angebliche Papiere mit dessen Name (S. 39) ist eine Fälschung. Offizieller Name ist „Erstes Militärgefängnis“
- Gefangene werden nicht in Gerichten nach al-Qaboun transportiert, die Gerichte erscheinen in den Gefängnissen selber und verurteilen dort auch direkt(2-3 Minnuten dauert eine Prozedur)
- die Gerichte benötigen keine Unterschriften vom syrischen Mufti (welcher für die Judikative keinerlei Relevanz hat), oder syrischen Verteidigungsminister, als Gegensatz zu dem was AI behauptete
- im alten Teil des weißen Gebäudes sind lediglich Zellen für die Einzelhaft (1mx2m)
- das weiße und rote Gebäude sind voneinander 120m entfernt, im Artikel wird aber der Transport von mehreren Bussen und Autos erwähnt (S. 22)
- auf Seite 2 (Anmerkung: Er bezieht sich dabei auf die arabische Version) wird ein Kommandant der „südlichen Front“ erwähnt, welcher bei den Exekutionen anwesend sein muss. In der Syrischen Armee gibt es aber eine solche Rolle gar nicht
- das gezeigte Zertifikat (S. 39) zeigt ein Papier des Innenministeriums, der Tod soll aber im Tishreen-Militärkrankenhaus stattgefunden haben, wofür wiederum das Verteidigungsministerium zuständig ist.
- angeblich wurden durch weitere Folter usw. 30.000 Menschen (S. 44) im Gefängnis getötet, letzten Endes konnten aber nur 375 (SNHR) verifiziert werden.
Zusammenfassung: Der neue Bericht von Amnesty International ist vor allem auf Erinnerungen und nicht verifizierbaren Aussagen bezogen, was vor allem auf die Anonymität der Befragten zurückzuführen ist. War es tatsächlich so, dass nicht mal eine einzige Person ihren Namen preisgeben wollte, nachdem doch bereits viele andere Personen sich öffentlich zu ihrer Gefangenschaft in dem Gefängnis bekannten (oben sind zwei Beispiele angeführt)? Wieso wurde nicht einmal eine der „nationalen/internationalen Experten“ namentlich erwähnt? Fühlt man sich selbst im Ausland derart unsicher? Inwiefern konnte Amnesty selber überprüfen, ob die ihnen „zugeteilten“ Personen überhaupt vertrauenswürdig sind? Amnesty International zeugte in den vergangenen Jahren immer mehr von einer NGO, die tatsächliche eine gewisse Agenda verfolgt, Stichwort Brutkastenlüge, oder angeblicher Massenmord in Ost-Aleppo durch die Armee. Wenn wirklich verifizierte Gefangene eine völlig konträre Position übernehmen, wie könne man dann noch den Befragten glauben?
Letztliche Anmerkung: Auch wenn es so erscheint möchte ich nicht die unmenschlichen Bedingungen in den Gefängnissen der syrischen Regierung relativieren. Der äußerst kritische Zustand der Gefängnisse in Syrien (& Irak) ist seit den 80er wohl bekannt, es sterben durch Misshandlung, Folter usw. sicherlich unschuldige Menschen. Der Beitrag von AI ist in dieser Debatte nicht hilfreich, da er m.A.n. nur einen gewissen Duktus erfüllen möchte und ein „inflationären“ Stil verfolgt.
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