Russland erobert Soledar

Es war Hochsommer, als Russland in Form der Eroberung der Donbass-Städte Lyssychansk und Sievierodonetsk ihren letzten großen Sieg erringen konnten. Seitdem war der Ukrainekrieg von aufeinanderfolgenden ukrainischen Erfolgen und Offensiven geprägt, die das Blatt im Konflikt wenden konnten. Entsprechend groß feiert die russische Armee nun also die Eroberung der einst 10.000 Einwohner großen Stadt Soledar, welche nur wenige Kilometer nördlich von dem seit sechs Monaten umkämpften Ort Bachmut liegt, aktueller Dreh- und Angelpunkt des Krieges. Dabei kommt es zum offenen Konflikt zwischen russischem Verteidigungsministerium und der Privatarmee Wagner, welche beide den Sieg in der Schlacht für sich beanspruchen. Derweil erhöhen westliche Bündnispartner der Ukraine ihre schweren Waffenlieferungen, erstmals sind moderne Kampfpanzer im Gespräch.

Das neue Jahr startet für die Ukraine mit verheißungsvollen Versprechungen aus dem Westen. Nachdem Frankreich ankündigte, mehrere AMX-10 RC-Fahrzeuge an Kiew zu liefern, zogen andere Partner ebenfalls nach. Die USA und Deutschland kündigten die ersten Lieferungen von weiteren gepanzerten Fahrzeugen an, namentlich den Bradley- und Marder-Schützenpanzer. Zudem werden allerlei Länder wie Litauen oder Schweden Artilleriehaubitzen bereitstellen, parallel hinzu kommen außerdem etliche weitere Flugabwehrsysteme. An all diesen neuen Versprechungen und Ankündigungen ist erkennbar, dass die Unterstützung für die Ukraine ununterbrochen anläuft.

Aktuell versucht auch Polen einen Durchbruchsversuch bei den Waffenlieferungen, indem sie zehn Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine übergeben wollen, zusammen mit einer potentiellen internationalen Allianz an Leopard-Lieferanten. Dies wären die ersten westlichen Kampfpanzer in ukrainischen Händen. Im Gegensatz dazu mehren sich aus pro-russischen Kreisen die Meldungen, dass die russische Artillerie mit erheblichen Versorgungsproblemen an der Front zu kämpfen haben. So ist die Anzahl an täglich eingesetzten Artilleriegeschossen um bis zu 75% reduziert worden, zudem macht sich Verschleiß an den Systemen selber bemerkbar. Noch ist es aber zu verfrüht, um daraus einen allgemeinen Trend ablesen zu können.

Die amerikanischen HIMARS-Raketensysteme sind in den letzten Wochen wieder zunehmend in Erscheinung getreten. Mit dem Erscheinen hunderttausender russischer Reservisten in der Ukraine ist auch entsprechend die Notwendigkeit von Behausungen von Soldaten gewachsen, ein attraktives Ziel für die bis zu 100 Kilometer Reichweite besitzenden HIMARS. So wurden beispielsweise Hotels und Kommandozentren in der südukrainischen Stadt Armiansk direkt an der Grenze zur Krim oder dem weiter westlich gelegenen Ort Hemitschesk zerstört, wodurch hunderte russische Soldaten verletzt oder getötet wurden. Besonders verheerend war ein ähnlicher Angriff auf eine Kulturzentrum in der Donbass-Stadt Makiivka, wo eine ganze Halle über Nacht bombardiert wurde. Russland räumte dabei den Tod von 90 Soldaten ein, die tatsächliche Zahl wird wohl um einiges höher liegen.

Den russischen Streitkräften unter dem Kommando der Privatarmee Wagner gelang bei der nördlich von Bachmut befindlichen Stadt Soledar ein lokaler Durchbruch, nach mehrmonatigen Kämpfen am südlichen Ortsrand. Nach derzeitigem Stand kontrollieren die Wagner-Söldner die umliegenden Felder und nahezu vollständig die Stadtfläche, vor allem den eher ländlichen Teil von Soledar. Das Stadtzentrum befand sich für einige Tage weitgehend unter ukrainischer Kontrolle, musste aber nach mehrtägigen Gefechten aufgegeben werden. Entgegen pro-russischen Angaben befinden sich keine ukrainischen Einheiten im Ort umzingelt und/oder von der Außenwelt abgeschnitten. Derzeit verlaufen die Frontlinien entlang der Eisenbahnlinie in Richtung Charkiw und den anliegenden Dörfern Sil und Krasna Hora, die Frontlinien dort unterliegen stündlichen Veränderungen. Die Gefechte um Soledar sind entsprechend brutal, die Situation unübersichtlich. Der Angriff auf Soledar erfolgte durch den konzentrierten Einsatz von Wagner und russischen Fallschirmjägern.

Eine russische Eroberung der Stadt könnte für die Verteidigung von Bachmut problematisch werden. Einerseits verläuft direkt westlich von Soledar eine von insgesamt drei Zugangsstraßen nach Bachmut, die unter ukrainischer Kontrolle stehen. Andererseits würde damit die nördliche Flanke nach Bachmut eröffnet werden, was gegebenenfalls zu einem Teilabzug, hinter den Fluss, führen würde, da die Hügel im Nordosten nicht mehr zu verteidigen wären. All das sind jedoch reine Mutmaßungen, denn genauso könnte die Ukraine erneut Soledar komplett sichern oder es würde weitere zwei Monate lang zu einem Abnutzungskrieg kommen, wo das Zentrum von Soledar die neue Front bildet. Ähnlich wie im Süden kann Russland gerade an den Flanken Erfolge vorweisen, wenn auch nur unter erheblichem Zeitaufwand und damit verbundenen Verlusten.

Im Gegensatz dazu ist die Situation in Bachmut selbst vergleichsweise stabil. Gefechte dauern weiterhin im östlichen Industriegebiet, insbesondere unweit des Weinguts ab, wo russische und ukrainische Soldaten abwechselnd Gegenangriffe starten. Im Süden konnten Wagner-Söldner inzwischen erfolgreich den Vorort Opytne sichern, wodurch Russland nun auch an das südliche Stadttor vorangerückt ist, wo es mit den gleichen Problemen wie im Osten konfrontiert ist. Unbestätigte Berichte sprechen zudem davon, dass das Dorf zwischen Soledar und Bachmut, Pirogodne, ebenfalls von Wagner zur Jahreswende erobert wurde. Dem gegenüber berichtet das ukrainische Verteidigungsministerium jedoch, den Ort weiterhin zu kontrollieren. Am Ende wird die Zeit zeigen, für welche Seite sich die inzwischen in den sechsten Monat gehende Schlacht um Bachmut entwickeln wird.

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