Krim als Spielplatz ukrainischer Spezialeinheiten

Fast ein halbes Jahr schon dauert der Krieg in der Ukraine an, was wohl die Wenigsten zu Anbeginn des Konfliktes erwartet hätten. Ebenso überraschend sind die Entwicklungen der letzten Woche, in der die Krim in den Mittelpunkt rückt: Zum wiederholten Male wurden russische Militärbasen, Logistikzentren und Munitionsdepots auf der Halbinsel attackiert, zum wiederholten Male gab es keinerlei Anzeichen vom Hintergrund der Militärschläge. Nun verdichtet sich die Theorie, dass diese Aktionen durch ukrainische Spezialeinheiten durchgeführt wurden, welche scheinbar ungehindert auf der Halbinsel operieren können, während das russische Militär kaum Sicherheitsmaßnahmen für solche Fälle durchführt und z.B. Munitionslieferungen unter freiem Himmel lagert. Für Russland entwickelt es sich zu einem erneuten Fiasko, nachdem man monatelang damit drohte, bei Angriffen auf russischem Territorium Vergeltungsschläge durchzuführen.

Die letzte Woche war für die Krim von einer besonders hohen Menge an Explosionen und vermeintlichen Angriffen geprägt. Was mit dem verheerenden Angriff und der Zerstörung von mindestens zehn Kampfjets auf dem russischen Militärstützpunkt Nowofedoriwka begann, wiederholte sich in ähnlicher Manier auch in den anderen Teilen der Krim. Insbesondere in der Umgebung der Stadt Dschankoi, welcher als wichtiger Verkehrsknotenpunkt Festland und Halbinsel verbindet, kam es zugleich zu mehreren Sabotageaktionen, angefangen mit mehreren Angriffen auf die Eisenbahnschienen vor Ort, die mithilfe von Sprengstoffvorrichtungen zerstört wurden. Der Schaden ist aber nur begrenzt, weshalb die Reparaturarbeiten nach einigen Tagen abgeschlossen sein sollten. Wesentlich langfristiger ist hingegen die Detonation eines Umspannwerkes, welches ebenfalls die russische Nachschubversorgung zur Südukraine unterbricht und verantwortlich für die Bahnnetzwerke in Dschankoi war.

Für wesentlich größere Aufmerksamkeit sorgte hingegen die Zerstörung eines großen Munitionsdepots und der dazugehörigen Reparaturwerkstatt für Militärfahrzeuge nahe dem Ort Asowske, welches über den ganzem Tag brannte. Selbst in dutzenden Kilometern konnten Anwohner noch explodierte Munition, wie z.B. die sowjetischen 152mm-Artilleriegeschosse, finden. Kurz zuvor wurden Videos veröffentlicht, auf denen der vorhandene Fuhrpark an beschädigten Militärfahrzeugen zu sehen war, darunter etliche Raketenwerfer und Schützenpanzer. Sollten diese ebenfalls bei dem Brand zerstört worden sein, wäre der verursachte Schaden auf einem ähnlichen Niveau wie jener Angriff auf Nowofedoriwka. Doch das waren nicht die einzige Ereignisse auf der Krim, wenige Kilometer nördlich von Simferopol wurden zudem über dem Militärflughafen Gwardeiskoje Rauschwaden gesichtet, was auf einen möglichen Militärschlag hindeutet.

Laut russischen Behörden warf eine Drohne Bomben auf das Flugfeld ab, von ukrainischer Seite gab es hingegen keinerlei Berichte oder Angaben zu dem Vorfall, auch erhielt er kaum Aufmerksamkeit. Möglicherweise waren hier Partisanen am Werk, die eigenhändig agierten ohne Kommunikation mit der ukrainischen Regierung, was im Vergleich zu den professionellen Vorgängen anderswo auf der Krim an den verursachten Schäden bemerkbar ist. Insgesamt sind die letzten Tage ein Indikator dafür, dass der Angriff auf Nowofedoriwka und die darauffolgenden Militärschläge wohl durch ukrainische Spezialeinheiten durchgeführt wurden, welche die Halbinsel bereits in den letzten Jahren infiltrierten und nun aktiv wurden. Diese können auf ein Netzwerk pro-ukrainischer Unterstützer zurückgreifen, welche seit 2014 trotz der russischen Machtübernahme weiterhin in ihrer Heimat leben. Die Aktion in Gwardeiskoje spricht dafür, dass diese nun ebenfalls selbst aktiv werden könnten.

Diese Theorie spiegelt sich in den Kommentaren ukrainischer Offiziere wieder, die von dem Einsatz ukrainischer Spezialeinheiten gegenüber westlichen Medien sprachen. Das ukrainische Verteidigungsministerium sprach im Falle von Nowofedoriwka davon, dass lediglich Waffensysteme aus dem eigenen Land eingesetzt wurden, was den Einsatz von Mittelstreckenraketen oder Kampfjets aus amerikanischen Händen ausschließen würde. Ohnehin gab es kein einziges Mal Beweise oder Meldungen, wonach vor den Explosionen Projektile gesichtet wurden. Für Russland ist es eine (erneute) Blamage, welche keinerlei Kapazitäten zu besitzen scheinen, dagegen vorgehen zu können. In Zukunft wird die Krim also zunehmend von solchen Aktionen heimgesucht werden, die den Kriegsvorhaben und Reputation Russlands entscheidend schaden.

Auf dem ukrainischen Festland sieht die Situation ein wenig anders aus. Seit dem letzten Monat konnten russische Offensive nur vereinzelt Früchte tragen. In der Südukraine kam es zu keinen Gebietsveränderungen, das Gros der Gefechte fand stattdessen im Donbass und dem Oblast Charkiw statt. Russland konnte unweit von Donezk einige Dörfer erobern, darunter die ehemalige Frontfestung Pisky, welche in Folge schwerer Kämpfe nach drei Wochen nun vollständig unter russischer Kontrolle liegt. Von dort aus versuchen sie die Gunst der Stunde zu nutzen und ebenfalls umliegende Orte zu erobern, bisher ohne Erfolg. Acht Jahre lang bildete diese Region die Frontlinie zwischen Armee und Separatisten, die Ukraine wird also entsprechende Verteidigungsmaßnahmen errichtet haben, die weit über das erste Dorf hinausreichen. Es ist unklar, wieso das russische Militär also gerade an den am stärksten befestigten Positionen gegen die Ukraine vorrücken will. Möglicherweise steckt dahinter lediglich die Absicht, die Pufferzone zwischen ukrainischen Positionen und der Großstadt Donezk zu erweitern, was im Verhältnis zu den Verlusten bzw. dem Aufwand aber nur bedingt vorteilhaft ist.

Parallel dazu rücken russische Verbände weiter nördlich in Unterstützung tschetschenischer, pro-russischer Milizen und der Wagner-Privatarmee auf die Stadt Bachmut zu, welche eine strategisch wichtig gelegene Stadt darstellt und etwa 40 Kilometer von Lyssychansk entfernt liegt, welches vor zwei Monaten durch Russland erobert wurde. Dort konnten sie insbesondere südlich und östlich von Bachmut einige Siedlungen erobern, zuletzt auch der Ort Soledar betreten, welcher zwischen Bachmut und der Stadt Sjewersk liegt, welche zusammen die nächste ukrainische Verteidigungsachse im nördlichen Donbass darstellt. Die Fabrikanlagen im südöstlichsten Teil Soledars und ein Stadttor nach Bachmut sollen bereits von russischen Einheiten kontrolliert werden, nun aber beginnt der urbane Häuserkampf, in dem der (ukrainische) Verteidiger grundsätzlich im Vorteil ist. Bachmut ist trotz ihrer geringen Bevölkerungszahl von ehemals 70.000 Einwohnern in der Fläche so groß wie Lyssychansk, zudem ist sie durch einen Fluss geteilt.

In Charkiw können ukrainische Verbände weiterhin eine erfolgreiche Defensive durchführen und sämtliche russischen Angriffe in Richtung der Großstadt Slwojansk abwehren und in Richtung Izium langsam aber sicher vorrücken. Russische Einheiten eröffneten überraschend im Norden der namensgebenden Provinzhauptstadt Charkiw überraschend eine neue Front und eroberten die an der russisch-ukrainischen Grenze liegenden Orte Okip und Udy, zumindest laut pro-russischen Medien. Wahrscheinlich handelt es sich dabei nur um Ablenkungsmanöver, um feindliche Einheiten an diesen Frontabschnitt zu binden. Für die russische Seite ist aber ein Angriff in dieser Region dahinsichtlich attraktiv, da sie direkt an Russland angrenzt. Das russische Militär besitzt ein chronisches Problem mit der eigenen Versorgung und Logistik allgemein, dank eigener veralteter Prozeduren, als auch durch ukrainische Partisanen, Spezialeinheiten und Artillerie. Diese Probleme sind in diesem Falle weitgehend aus dem Weg geräumt, jedoch würde sich eine Großoffensive auf Charkiw darauf aufbauend niemals materialisieren, nachdem sie bereits in den ersten Kriegstagen gescheitert ist.

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