Russland will ukrainische Gegenoffensive unterbinden

Der Juli war im Ukrainekrieg vor allem von Vorbereitungen, Konsolidierungen und Innehalten geprägt, ukrainische und russische Streitkräfte schienen sich gleichermaßen eine Verschnaufspause in jenem Konflikt zu genehmigen, welcher fast ein halbes Jahr schon andauert. Zur Monatswende änderte sich das jedoch wieder schlagartig: Russland rückt im im Donbass wieder langsam vor, auch wenn die bisherigen Erfolge kaum nennenswert erscheinen, sind sie im Vergleich zum Juli ein großer Anstieg russischer Erfolge. Zudem reagiert das Land auf den ukrainischen Truppenaufmarsch im Süden der Ukraine mit einer eigenen Mobilisierung, wohl in der Hoffnung, die bevorstehende Gegenoffensive im Keim ersticken zu können. Der August könnte wieder von besonderer Brutalität und intensiven Kämpfen geprägt sein.

Nach einer einmonatigen Pause haben russische Einheiten ihre Offensiven im Donbass wiederaufgenommen bzw. erneut intensiviert, wenn sie auch auf einem kleineren Areal stattfinden und nur noch wenig an die russischen Ambitionen erinnern, den gesamten Oblast Donezk und damit verbunden den Donbass zu erobern. Bisher gibt es insgesamt zwei Vorstoßversuche: Erstens die Angriffe auf die Stadt Bachmut, welche etwa 40 Kilometer südwestlich von Lyssychansk liegt und zusammen mit Sewersk die nächste größere Verteidigungslinie im nördlichen Donbass bildet. Hier kam es eigentlich nie zu einer Unterbrechung der Gefechte, russische Verbände können hier nur äußerst mühselig und langsam vorrücken, wodurch sie in den letzten zwei Wochen etwa vier Dörfer sichern konnten. Derzeit befindet man sich etwa acht Kilometer von dem Ort entfernt und versucht weiter nördlich auf die Vororte vorzudringen und damit die Straße zwischen Bachmut und Sewersk zu durchtrennen.

Eng damit verbunden ist ebenfalls eine südliche Offensive auf Bachmut, welche in Folge der 3.000 Einwohner großen Dorfes Nowoluhanske und dem dazugehörigen Kraftwerk gestartet wurde. Ukrainische Einheiten haben sich dort zuletzt aus dem Dorf Trawnewe zurückgezogen, aktuell gibt es noch schwere Gefechte um Semyhirja, was fünf Kilometer nördlich von Nowoluhanske entfernt liegt, Russland hier also noch keine wirklichen Erfolge vorlegen kann. Nowoluhanske war im Juli wohl die größte Eroberung für Russland, weshalb die Kontrollgewinnung über mehrere Dörfer in den letzten Tagen die größten Fortschritte seit langem bedeuten.

Die zweite Operation konzentriert sich weiter südlich auf die Stadt Awdiiwka, seit acht Jahren eine Front- und Nachbarstadt zur gleichnamigen Provinzhauptstadt Donezk. Bisher konnte das russische Militär mit der Unterstützung von separatistischen Milizen und den Wagner-Söldnern über die letzten fünf Monate keinerlei Erfolge erzielen und die Frontlinien faktisch keinen Meter verschieben. Nun aber konnten sie immerhin einige hundert Meter vordringen und das zur Stadt gehörige Minenareal sichern. Von dort sind es aber nochmals zwei Kilometer bis zu den ersten Häusern von Awdiiwka, getrennt von einigen Wäldern und freien Feldern. Bisher sieht es danach aus, als würde man auf Awdiiwka die russische Taktik aus Luhansk wiederholen wollen, die Stadt zu flankieren und den Gegner somit vom Abzug aus den befestigten Stellungen zu zwingen. Dies zeigt bisher jedoch wenig Erfolg, da die Flanken ebenso über die letzten acht Jahre hinweg befestigt wurden.

Einzig im Dorf Pisky, ebenfalls Nachbarort zu Donezk, gibt es Meldungen von russischen Erfolgen, die dort einige Straßen und Wohnblöcke erobert haben sollen. Veröffentlichte Meldungen von dort stationierten Soldaten sprechen von einer desaströsen Lage vor Ort, da Russland eine schiere Übermacht an Artillerie und Feuerkraft besitzt, während die ukrainischen Einheiten ohne Unterstützung dort ausharren müssen. Nichtsdestotrotz können sie Pisky weiter halten, zudem gibt es seit Mittwoch Meldungen von neuen Verstärkungen an die Front. Hier liegt ein Vorteil für Russland, welche weiterhin den Ort der Gefechte zumindest im Donbass diktieren können, was die Ukraine zum Zugzwang bewegt. Diese Gefechte werden aber immer lokaler, was auch auf die russischen Truppenverlegungen zurückzuführen sein könnte.

Denn die Südukraine wird zum Dreh- und Angelpunkt des Konfliktes, auch für Russland. Dass das ukrainische Militär seit längerem eine groß angelegte Gegenoffensive in der Region plant und durchführen will ist kein Geheimnis und wurde bereits mehrfach kommuniziert. Auch die Fakten auf dem Boden sprechen dafür, ukrainische Einheiten können im äußersten Norden des Oblast Kherson langsam vorrücken und sind gerade aktiv dabei, mithilfe der amerikanischen HIMARS-Artilleriesysteme die wenigen Nachschubrouten, Munitionslager und Kommandozentren zu zerstören. Ersteres ist dabei ein großer Erfolg, denn die russischen Gebiete nördlich des Flusses Dnepr werden nur über zwei Wege versorgt. Die Antonowskiy-Brücke und die parallel dazu verlaufende Eisenbahnbrücke nach Kherson wurde bereits erfolgreich eliminiert, stattdessen findet dort ein ganztägiger Fährenservice statt, welcher zumindest tagsüber von Zivilisten genutzt wird und damit die Nachschubversorgung erschwert.

Stattdessen scheint ein Großteil der Militärversorgung über den Staudamm von Nowa Kachowka zu laufen, welcher nicht so einfach zerstört werden kann bzw. verursachte Schäden relativ leicht repariert werden können. Zwar konnten präzise Artillerieschläge bereits Radare, Luftabwehrsysteme und Hauptquartiere vor Ort zerstören, der letzte Nachschubweg wird aber in Ruhe gelassen. Da sich dieser aber unter ständiger Überwachung befindet und es sich dennoch nur um einen Flaschenhals in Richtung Norden handelt, ist die Versorgung entsprechend erschwert. Dementsprechend überraschend sind die derzeitigen Maßnahmen Russlands, welche immer mehr Truppen in Richtung Kherson und den Oblast Saporischschja verschieben, obwohl die logistische Lage derart angespannt ist.

Russland hofft damit zumindest, die erwarteten ukrainischen Erfolge im Süden präventiv aufhalten zu können, was sich vor allem auf die Moral und die zur Rückkehr des Status Quo auswirken würde, immerhin wären beide Kriegsparteien dann nicht mehr dazu in der Lage, noch größere Operationen durchführen zu können, internationale Unterstützung für die Ukraine könnte dadurch sinken. Pro-russische Medien sehen in der Entwicklung sogar die Hoffnung, dass Russland daraufhin die Hafenstädte Mikolajew und Odessa erobern und somit Ukraine von einer Seeverbindung abschneiden könnte. An diesem Vorhaben ist das russische Militär aber bereits am Anfang des Krieges gescheitert, mit den seitdem erlittenen Verlusten bleibt das ein weit entfernter Traum.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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