Russland verliert die Initiative im Ukrainekrieg

Seit einem Monat nun unternahm Russland keine größeren oder nennenswerten Offensiven, trotz der Eroberung einiger kleiner Dörfer im Donbass können die russischen Streitkräfte keine militärischen Erfolge im Juli vorweisen. Stattdessen scheint sich der Modus Operandi zu wandeln, während es im ostukrainischen Oblast Donezk immer noch zu oftmals erfolglosen Vorstößen kommt, ziehen sich russische Verbände im Norden und Süden der Frontabschnitte zurück. Im Süden finden derzeit alle Vorbereitungen für eine ukrainische Gegenoffensive statt, die dabei vor allem auf die Taktik des Aushungerns setzt. Denn aktuell werden alle Nachschubwege und Logistikzentren für jene russischen Soldaten sukzessive eliminiert, die am nördlichen Ufer des Dnepr stationiert sind. Russland scheint nicht dazu imstande, diese Angriffe abzuwehren und verstärkt stattdessen seine Präsenz in der Region, was ein frühes Ende der Donbassoffensive bedeutet.

Im Süden geht die Ukraine mit einer interessanten Taktik gegenüber den etlichen Brücken über die Flüsse Dnepr und Inhulets vor: Anstatt sie einfach zu zerstören und den Gegner damit die Nachschubwege abzuschneiden, werden diese zentralen Knotenpunkte nur schwer beschädigt, was eine Nutzung zwar noch ermöglicht, aus offensichtlichen und statischen Gründen aber zu einem Risiko macht. Insbesondere für die schweren Militärfahrzeuge ergibt sich ein Bild, als wenn die Brücken faktisch zerstört wären. Für Zivilisten und leichte Transporte stellt es jedoch kein Problem dar, zumindest nicht kurzfristig. Damit sind den russischen Soldaten auch Fluchtrouten verfügbar, welche zumindest teilweise in Gebrauch sind. Anwohner von Kherson berichteten vermehrt von Soldaten, die nach Fahrmöglichkeiten auf die Krim suchen. Kontrollpunkte auf den Straßen sollen inzwischen weniger durch Militärpolizisten bemannt werden, sondern stattdessen von regulären Soldaten. Unklar ist aber, ob die Beschädigung der Brücken als Warnung dient und die Ukraine nach mehreren Tagen oder Wochen eine komplette Zerstörung durchführen wird.

Russland reagierte daraufhin mit der Errichtung von Pontonbrücken und militärischen Fähren, um immerhin einen partiellen Militärtransport über die verschiedenen Flüsse der Südukraine zu sichern. Diese können aber ebenso schnell und einfach das Ziel ukrainischer Artillerie sein, weshalb das vorerst nur eine temporäre Lösung darstellt. Vor allem auch deswegen, da sie nur wenige Meter westlich der großen und inzwischen unbefahrbaren Antononwskiy-Brücke verläuft und ein entsprechend simples Ziel darstellt. Jedoch wird die Fähre ebenfalls von Zivilisten genutzt, was tagsüber ukrainische Angriffe verhindern könnte. Nichtsdestotrotz sind die Nachschubwege massivst eingeschränkt und die wenigen verbliebenen Routen stehen unter ständiger Überwachung. Langfristig ist es für Russland so unmöglich, ihre Präsenz am nördlichen bzw. östlichen Ufer des Dnepr zu sichern, was letzten Endes zu einer relativ zerstörungs- und verlustfreien Wiederoberung von Kherson durch die Ukraine führen würde.

Für großes Rätselraten sorgen derweil die russischen Truppenmanöver im Oblast Charkiw, bzw. deren Abwesenheit davon. In der Region um Izium können ukrainische Einheiten langsam, aber sicher vorrücken und damit den Druck auf die russischen Positionen in der Region erhöhen. Anwohnern zufolge sollen große russische Verbände entsprechend das Gebiet verlassen und sich in Richtung russischer Grenze und der Stadt Belgorod zurückgezogen haben. Bisher ist es noch zu verfrüht, um daraus einen größeren Trend abzulesen. Jedoch zeigt der ukrainische Druck zumindest Wirkung. Am Ende dessen könnte ähnlich der Situation in der Nordukraine und um Kiew eine „Geste guten Willens“ stehen, also ein russischer Abzug aus ebendiesen Gebieten. Ebenso möglich ist die banalere Theorie, dass es sich lediglich um eine Einheitenrotation handelt. In diesem Zusammenhang soll es auch Gerüchte darüber geben, dass Russland als nächstes eine Offensive auf die Millionenstadt Charkiw starten könnte, auch wenn Eroberungsversuche am Anfang des Krieges scheiterten.

Seit gestern ist zumindest eine andere Region von einer solchen russischen Offensive betroffen, namentlich die Stadt Adiwka, eine Nachbarstadt von Donezk und seit dem Jahre 2014 Dreh- und Angelpunkt innerukrainischer Gefechte. Aufgrund dessen erfüllt die Stadt für die Ukraine zugleich zweierlei Bedeutungen: Einerseits sind es wohl diejenigen ukrainischen Stellungen, die am besten und nächsten für Angriffe auf separatistischen Gebiete genutzt werden kann. Andererseits ist die Stadt in den letzten acht Jahren zu einer Festung ausgebaut worden, sämtliche Einnahmeversuche seit Februar von Russland wurden erfolgreich abgewehrt, offiziell ist kein einziger Meter verlorenen Bodens dort bekannt. Warum russische Einheiten gerade dort mit großem Artillerie- und Raketeneinsatz einen Angriff starteten ist noch völlig unklar, vor allem auch welche Intention dahintersteckt. Zumindest ist daran aber erkennbar, dass die Strategie von Russland sich von einem regionalen Schwerpunkt, dem Donbass, zu einem lokalen Schwerpunkt verschiebt, was auf einen gesteigerten Ressourcen- und Kapazitätsmangel hindeutet.

Denn ein Ende der „operativen Pause“ scheint nicht in Sicht, insofern diese überhaupt existiert. Mit dem Vorstoß auf Adiwka und weiteren Eroberungsversuchen weiter nördlich auf die Städte Bachmut und Sewersk scheinen sich derzeit ein Teil der russischen Kräfte zu konzentrieren, während ein anderer Teil als Verstärkung in die Südukraine transferiert wird. Die Erfolgsaussichten für Russland im Donbass sehen derzeit so aus, dass die Eroberung des 3.800 Einwohner zählenden Dorfes Nowoluhanske und dem dazugehörigen Kraftwerk der größte militärische Erfolg für Russland innerhalb des Juli bildet. Unter diesen Bedingungen rückt die Eroberung des Donbass in weiter Ferne, stattdessen verliert das russische Militär die Initiative und muss nun auf die ukrainischen Vorbereitungen einer Gegenoffensive reagieren.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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