Russische Offensive in der Ostukraine stockt

Seit fast fünf Monaten dauert der Krieg in der Ukraine an. Die letzten Tage und Wochen waren geprägt von ausbleibenden Fortschritten für die russischen Streitkräfte, welche nach der Eroberung des Oblast Luhansk einen wichtigen Etappensieg erringen konnten. Seitdem aber gibt es keine nennenswerten Erfolge, ukrainische Kräfte konnten den ständigen russischen Angriffen erfolgreich standhalten. Insgesamt sind die Frontverläufe also stabil. Die große Frage lautet dabei jedoch: Was ist die Ursache dahinter, nachdem Russland noch zuvor mehrere Großstädte erfolgreich besetzen konnte? Pro-russische Medien begründen es mit einer operativen Pause, pro-ukrainische Beobachter hingegen verweisen auf die hohen Verluste und seit neuestem auch die Zerstörung zentraler Munitionsdepots, die zu einem Zusammenbruch der russischen Logistik führen.

Seit der russischen Eroberung des ostukrainischen Oblast Luhansk und den damit verbundenen Städten von Lyssychansk und Sievierodonetsk ist es relativ ruhig geworden, zumindest in Hinsicht territorialer Veränderungen. Nur etwa zehn Kilometer weiter westlich von Lyssychansk dauern seit über zwei Wochen die Gefechte zwischen den beiden Ländern an, wobei Russland trotz des Einsatzes schweren Kriegsgerätes keine Erfolge verzeichnen kann. Neueste Videos von der ukrainischen Seite zeigen, dass eigene Truppen sich weiterhin den Dörfern von Bilohoriwka und Werchnokamjanske aufhalten, welche von pro-russischen Medien bereits mehrmals als erobert deklariert wurden und zudem weitere zehn Kilometer von der eigentlichen nächsten Verteidigungslinie entlang der Bachmut-Sjewersk-Achse entfernt liegen. Nach der Übernahme von Lyssychansk ging man eigentlich davon aus, dass russische Kräfte ihre Offensive fortführen und die oben beschriebenen Siedlungen innerhalb von Stunden ebenfalls sichern würden, vor allem wegen der lokalen Übermacht und geographischer Vorteile.

Stattdessen konnten ukrainische Einheiten erfolgreich ihre Stellungen halten und sogar einige Überfälle durchführen, die z.B. in Werchnokamjanske in der Gefangennahme von mindestens drei russischen Soldaten endete. Ukrainische Behörden vor Ort berichten ebenfalls davon, dass im Zuge der erfolgreichen und immer öfters vorkommenden Artillerieangriffe auf russische Munitionsdepots und Waffenlager die Anzahl und Intensität russischer Artillerie erheblich abgenommen hat. Ein ähnliches Bild ergibt sich nördlich von Slowjansk, das nächste Ziel russischer Begehren in der Ostukraine. Dort können die ukrainischen Verteidiger ihre Positionen halten und teilweise sogar einige Dörfer wiedererobern. Dennoch sind die Frontlinien weitgehend stabil, unklar ist aber weiterhin, ob das auf eine operative Pause oder fehlende Kapazitäten auf russischer Seite zurückzuführen ist.

Für Ersteres spricht der reguläre Modus Operandi einer Militäroffensive, nach der durchaus verlustreichen und teuren Eroberung der Luhansk-Städte wäre eine Konsolidierung der eigenen Kräfte und eine logische Schlussfolgerung, auch um potentiell die eigenen Reihen aufzustocken und Soldaten in eine kurze Ruhezeit zu erlauben. Auch pro-russische Medien begründen mit dem Argument einer operativen Pause die ausbleibenden Fortschritte der letzten Woche. Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu rief am Samstag hingegen dazu auf, die Angriffe an allen Fronten auszuweiten und zu intensivieren. Zudem gibt es ja die regelmäßigen Angriffsversuche in Richtung von Sjerwersk, Slowjansk und Bachmut, welche aber keine Erfolge produzieren können.

Besonders die inzwischen tagtägliche Zerstörung von russischen Munitionslagern und Kommandozentren ist ein gewichtetes Argument zugunsten der Aussage, dass Russlands militärische Kapazitäten geschmälert sind. Innerhalb der letzten 24 Stunden wurden solche Ziele in Nowa Kachowka, Bereslaw, Kherson und Lazurne getroffen. Pro-ukrainische Kriegsreporter sprechen davon, dass die Dauer und Anzahl an russischer Artillerie im Donbass erheblich abgenommen haben soll, Beweise gibt es dafür aber nicht und es ist zu früh, um daraus einen allgemeinen Trend abzulesen. Allgemein ist es ein großes Fragezeichen, wie viele der von Russland genutzten Munitionslager in der Nähe der Frontlinien zerstört wurden. Einigen unbestätigten Gerüchten zufolge kehrt die russische Armee zu ihren (ineffizienten) Taktiken zum Anfang des Krieges zurück, wo der Großteil der Logistik nur mithilfe von Trucks durchgeführt wird und es keine zentralen Logistikzentren mehr gibt. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die Nachschubwege doppelt so lange wären und damit auch ein gefundenes Fressen für ukrainische Partisanen im Hinterland.

Die unbekannte Variabel hinter den Argumentationen sind die russischen Kapazitäten, welche bereits seit längerem erschöpft scheinen. Die ukrainische Regierung geht zwar davon aus, dass die russische Armee weitere Gebiete erobern kann, es dabei aber um kaum nennenswerte Territorien handelt, geschweige das nächstgrößere Ziel von der Stadtkette Slowjansk-Kramatorsk-Druschiwka erreicht werden könnte. Russland setzt zunehmend auf untrainierte Freiwillige, zuletzt wurden sogar Strafgefangene mit Militärausbildung eine Amnesie im Falle eines Militäreinsatzes in der Ukraine angeboten. Statt einer landesweiten Mobilisierung und den damit verbundenen sozioökonomischen Folgen werden Mobilmachungen stattdessen auf Provinzen abgewälzt, gerade die ärmeren Regionen bilden aktuell durch die Versprechungen guter Bezahlungen einige Freiwilligenverbände, der Oblast Tscheljabinsk an der kasachischen Grenze konnte damit 500 Soldaten bereitstellen. Die Personalprobleme seit Anbeginn der russischen Operation lassen sich damit nicht verhindern, aber zumindest vorübergehend mildern.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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