Die russische Achillesferse namens Logistik

Seitdem die amerikanischen und hochmodernen Mehrfachraketenwerfer des Typs „HIMARS“ das Schlachtgeschehen im Ukrainekrieg dominieren, offenbart sich eine neue problematische Phase für die russische Kriegsführung, welche an ihrer Achillesferse attackiert wird: Die auf den massiven Einsatz von Artillerie basierende Abnutzungstaktik ist äußerst nachschubintensiv, dank den massiven sowjetischen Beständen ist die entsprechende Anzahl gesichert. Jedoch existiert nun die Problematik, dass die jeweiligen Geschosse auch an den Frontlinien ankommen müssen. Dabei ist Russland aufgrund der Abhängigkeit von zentralen Lagern und fixierten Eisenbahnlinien ein gefundenes Fressen für die HIMARS, welche im Stundentakt die Logistik zerstören. Wie kriegsentscheidend diese Entwicklung ist, bleibt aber bisher unklar.

Der Teilbereich der Logistik innerhalb der russischen Kriegsführung unterscheidet sich immens im Vergleich zu den westlichen Gegenpendants, was vor allem unfreiwillig auf die veralteten Verwaltungssysteme und -prozesse zurückzuführen ist. Beim russischen Militär dominiert das Eisenbahnsystem als primäres Transportmittel, die Schienen bilden das Rückgrat aller Nachschubwege und dienen für Kriegsgerät, von einfachen Waffen bis zu Kampfpanzern, als elementarstes Verkehrsmittel von Punkt A nach Punkt B. Dementsprechend ist es auch wenig verwunderlich, dass Russland in den von ihnen besetzten Territorien zwei der eigentlich antiquierten Panzerzüge unterhält, sondern auch ein großer Teil der Logistiktruppen für die Instandhaltung und Errichtung von Schienensystemen zuständig ist. Die über die Züge transportierten Waren werden daraufhin in zentralen Lagern, etwa 50 bis 100 Kilometer von der aktiven Front entfernt, aufbewahrt, während die letzte Strecke dann durch Transporter etc. durchgeführt wird.

Gerade die letzten Kilometer sind dabei von einem Logistikverständnis geprägt, welches mehrere Jahrzehnte zurückliegt. Sämtliche Indikatoren sprechen dafür, dass die entsprechenden Beförderungsbehälter per Hand transportiert, auf- und abgeladen werden. In öffentlichen Spendenkampagnen für die russische Armee werden explizit nach Gabelstaplern und Sattelschleppern gefragt, es gibt nicht mal Beweise für einen nennenswerten Einsatz von Industriepaletten für den Transport. All das kumuliert zu einem Zustand, in der einfachste Verschickungen extremst in die Länge gezogen werden. Nun kommen auch noch die regelmäßigen Artillerie- und Raketenangriffe hinzu, die die zentralen Munitionslager detonieren lassen und Russland nur noch zwei Optionen lässt: Eine Dezentralisierung der Depots oder der Versuch, sich außerhalb der HIMARS-Reichweite zurückzuweichen.

In beiden Fällen führt das zu einer Verschlechterung der Nachschubsituation für die russischen Einheiten, die ohnehin seit Anbeginn des Krieges angespannt war. Gerade die Abhängigkeit vom Schienensystem führt bisher dazu, dass Russland einfach statt zentralen Lagern Bahnhöfe in neue provisorische Logistikzentren und Fuhrparks verwandelt, die aber ebenso einfach von ukrainischer Artillerie attackiert werden können. Gekoppelt mit den regelmäßigen Anschlägen ukrainischer Soldaten und Partisanen auf Eisenbahnbrücken wie z.B. zuletzt bei Izium und Melitopol zeigen, dass Russland bisher keine Musterlösung auf diese Problematik finden konnte. Obwohl es tagtäglich zu Detonationen von Munitionslagern kommt ist das genaue Ausmaß der russischen Reserven jedoch unklar, weshalb die genaue Dimension von alledem nicht genau messbar ist.

Denn dieser Umstände zum Trotz können russische Einheiten zumindest im Donbass noch sehr langsam, aber konstant vorrücken. Seit der Eroberung des Städtedreiecks zwischen Lyssychansk, Sievierodonetsk und Rubischne wurden die Frontlinien um einen großen Teil verkürzt, was Teile der strapazierten russischen Kräfte befreit. Diese konnten einige Dörfer sichern und befinden sich aktuell noch mehrere Kilometer vor den nächsten ukrainischen Hochburgen von Bachmut und Sjewersk entfernt. Bei dem derzeitigen Tempo könnte Russland die Stadttore innerhalb der nächsten paar Wochen erreichen. Ansonsten kann Russland zumindest teilweise ukrainische Vorstöße in den südlichen Oblasten Kherson und Saporischschja aufhalten, dort aber keine neuen Gebiete gewinnen.

Die Schwäche der russischen Armee in der Ukraine ist auch in der unzureichenden Anzahl an Soldaten zu finden, die in Folge der seit vier Monaten andauernden Krieges auf beiden Seiten nur weiter verringert wurde, die Ukraine aber dank einer Generalmobilisierung auf einen größeren Rekrutierungspool zurückgreifen kann. Seitdem nimmt die Anzahl an Freiwilligen statt Berufssoldaten innerhalb der Streitkräfte kontinuierlich zu, was aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein darstellt. Deswegen greift der russische Staat zu immer radikaleren Maßnahmen und Schritten zur Rekrutierung. Inzwischen werden einem Veteranenstatus und Gehälter im sechsstelligen Bereich angeboten, insofern sie sich für sechs Monate einschreiben lassen. Die Armee und die russische Privatmiliz Wagner verpflichtet sogar Gefängnisinsassen im Austausch für eine Amnestie, insofern sie über Militärerfahrung verfügen.

Internen Recherchen zufolge soll bei den aktuell Getöteten etwa die Hälfte ebensolche Freiwillige ausmachen, ein großer Teil davon über 40 Jahre alt und aus prekären Verhältnissen ärmerer Regionen, für die die wirtschaftlichen Versprechungen besonders attraktiv wirken. Witwen und Familienangehörige berichten jedoch, dass die Regierung den versprochenen Lohn für den Kriegsdienst verstorbener Soldaten nicht auszahlt, da die Anzahl Getöteter künstlich niedrig gehalten wird. In Folge der westlichen Sanktionen erließ Moskau ein neues Gesetz, welches zivile Industriezweige für die Militärproduktion verpflichten könnte und dabei die sozialen Rechte der Arbeiter wie Urlaub oder gesetzlich geregelte Arbeitsstunden aushebelt. In Rücksicht dieser Geschehnisse der letzten Wochen erscheint ein russischer Sieg in der Ukraine immer unwahrscheinlicher.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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