
Nach der Eroberung der ehemaligen Großstadt Siervierodonetsk durch russische Truppen verbleibt nur noch eine einzige Stadt in dem ostukrainischen Oblast Luhansk unter der Kontrolle von Kiew: Die sogenannte „Wiege des Donbass“ Lyssychansk. Bereits im Süden rücken russische Einheiten langsam an die Stadtgrenze heran, im Norden und Osten schützt ein Fluss und Hügelketten die Stadt vor möglichen Flankierungen. Nach bisheriger Faktenlage suchen die ukrainischen Streitkräfte hier die Entscheidungsschlacht um die Provinz und verstärken trotz der Gefahr einer Einkesselung ihre Kräfte vor Ort. Doch auch fernab von Luhansk gehen die Gefechte zwischen den zwei Staaten weiter, insbesondere in den letzten Tagen haben Angriffe auf Städte in der ganzen Ukraine erheblich zugenommen. Raketen und Artillerie sind weiterhin die wohl wichtigste Waffe im Arsenal der Kriegsparteien.
Es wird definitiv kein leichtes Unterfangen, die von der lokalen Topografie beglückte Stadt der ukrainischen Garnison zu entreißen. Der Fluss Donets schützt die wie die Schwesterstadt Sievierodonetsk 100.000 Einwohner große Stadt von zwei Seiten, während die Siedlung zudem noch etwa 200 Meter höher über die Umgebung ragt. Einige dieser Komplikationen konnte Russland mit einem Vorstoß südlich von Lyssychansk aushebeln, möglicherweise versucht die russische Armee aber auch eine Einkreisung, um den intensiven und verlustreichen Häuserkampf aus den Weg zu gehen. Dagegen spricht der bisherige Modus Operandi russischer Truppen, die vor kurzem erst Sievierodonetsk durch einen Frontalangriff eroberten. Möglicherweise verfügt Russland dort nicht über eine ausreichende Anzahl an Einheiten, um eine Einkreisung erfolgreich aufrechtzuerhalten und zugleich die eroberten Gebieten zu verteidigen.
Aktuell finden die Gefechte rund um das Dorf Wowtschojariwka statt, welches direkt südlich der Lyssychansk-Raffinerien liegt. Daran vorbei verläuft die wichtigste Verbindungsstraße zwischen Luhansk und dem Rest ukrainischen Territoriums, jedoch gibt es noch etliche andere Straßen und Feldwege, sodass eine Versorgung weiterhin sichergestellt wäre. Alternativ wäre eine Versorgung durch eine Luftbrücke ebenfalls möglich, so geschah es in den ersten Monaten der Schlacht um Mariupol. Pro-russische Medien berichten bereits von den ersten Häuserkämpfen am südlichen Ende von Lyssychansk, wofür es aber keine näheren Belege gibt. Sämtliche Gebiete östlich sind inzwischen unter russischer Kontrolle, jedoch ist es von dort nahezu unmöglich, Lyssychansk anzugreifen, geschweige zu betreten.
Derweil nehmen Raketenangriffe erheblich zu, sowohl im Großraum Kiew und der Westukraine, als auch auf dem Territorium der ostukrainischen Volksrepubliken. In der vorletzten Nacht fielen nach einer langen Auszeit erstmals wieder mehrere Raketen auf die Hauptstadt hinab, die dabei ein Wohngebäude schwer beschädigten und ein Kind töteten, etliche Weitere wurden verletzt. Bei Tscherkassy gab es einen misslungenen Versuch, eine Brücke über den Dnepr zu zerstören, das russische Projektil verfehlte jedoch mit mehreren Metern ihr Ziel. In der Westukraine gab es ähnliche Fälle, wo Infrastruktur bombardiert wurde. Auf Charkiw im Nordosten, nur 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt, wurden über die letzten Nächte mehrfach Raketensalven gezündet, dessen Erfolg unbekannt ist. Über Odessa soll die ukrainische Luftabwehr mehrere Raketen zerstört haben.
Dem gegenüber stehen der zunehmende Beschuss von Munitions- und Waffenlagern im separatistischen Gebiet, die mit einer ungewöhnlich hohen Präzision durchgeführt wird. Anhand des aktuellen Zeitraumes ist davon auszugehen, dass dabei vor allem moderne und westliche Waffensysteme wie die neulich gelieferten HIMARS-Mehrfachraketenwerfer oder deutschen Panzerhaubitzen 2000 eingesetzt werden. Auch gibt es Berichte darüber, dass das ukrainische Militär aufgrund der oben genannten Lieferungen nun die Reserven der ballistischen Tochka-U-Raketen aufbrauchen kann, welche stattdessen dafür eingesetzt werden. Der Kontrast zwischen der Zielgenauigkeit russischer und ukrainischer Artilleriesysteme ist dabei sehr auffällig, wie auch die letzten Tage zeigen konnten.
Alleine in den letzten 24 Stunden wurden dabei zwei Depots in Zymohiria, eins in Svatove und ein Weiteres in Donezk zerstört, allesamt mehr als 50 Kilometer von den aktiven Frontlinien entfernt. Der gezielte Beschuss von Munitionslagern birgt die Hoffnung, die ansonsten quantitativ vorhandene Überlegenheit an russischen Artilleriesystemen auszugleichen, außerdem hat Russland ohnehin mit erheblichen logistischen Problemen seit Tag Eins des Krieges zu kämpfen. Damit eng verbunden ist das neue Gerücht, wonach Russland erhebliche Nachschubprobleme hat, weswegen sie neuerdings Munition aus Belarus importieren. Gemessen an den massiven Reserven aus der Sowjetzeit, der Korruption zum Trotz, ist diese Meldung aber mit Vorsicht zu genießen.
Zudem gibt es den ersten bestätigten Einsatz eines HIMARS-Systems, zumindest laut diversen ukrainischen Medien. Das entsprechende Video zeigt die Nachwirkungen eines Raketen- oder Artillerieangriffes auf eine zur Militärbasis umfunktionierten Schule im Norden der Stadt Izium. Dabei wurden etwa sechs Militärfahrzeuge zerstört, darunter zwei Brückenlegepanzer und das Gebäude selber schwer beschädigt. Die Schule soll als vorgeschobenes Hauptquartier oder Logistikzentrum genutzt worden sein, weshalb auch mehrere Kommandanten dabei umgekommen sein sollen. Beweise gibt es dafür aber nicht. Um Izium sollen ukrainische Einheiten zuletzt vorgerückt sein und sich nur noch wenige Kilometer von der Stadt entfernt befinden, welche von zwei großen Wäldern flankiert wird.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.
Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.
Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.