Der Jemenkrieg findet seinen Weg in die Ukraine

Selbstverständlich bewegt sich der Ukrainekonflikt, welcher inzwischen in seinen vierten Monat geht, nicht in einem isolierten Mikrokosmos, sondern bedient sich stattdessen aus den Lehren bisheriger Konflikte in der ganzen Welt. Neueste Technologien wie Angriffsdrohnen bilden ein wichtiges Rückgrat der jeweiligen Streitkräfte, so wie es der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan oder der lybische Bürgerkrieg bereits eindrucksvoll die Bedeutung von Drohnen beweisen konnten. Diese Waffenarten könnten nun zumindest auf ukrainischer Seite einen noch höheren Stellenwert einnehmen, denn vor zwei Tagen ereignete sich der erste bestätigte Einsatz einer Kamikazedrohne gegen eine feindliche Raffinerie, tief im Territorium Russlands. Die Inspiration dafür rührt aus dem jemenitischen Konflikt, wo die Houthi-Rebellen seit Jahren erfolgreich ganz Saudi-Arabien ins Visier nehmen. Das Resultat könnte vernichtend sein.

Der erste visuell bestätigte Einsatz einer sogenannten Kamikazedrohne, auch unter dem Begriff der „Loitering Munition“ bekannt, wurde am vergangenen Mittwoch veröffentlicht. Darin ist zu sehen, wie eine einzelne Drohne auf die lokale Erdölraffinerie der Stadt Nowoschschachtinsk im russischen Oblast Rostow zufliegt und daraufhin explodiert, was zu einer schnellen Rauch- und Brandentwicklung führte und laut bisherigen Erfahrungen den Gebäudekomplex für mehrere Wochen bis Monate außer Kraft setzen wird, auch wenn der Wirkungsradius der Explosion eher klein war. Der Angriff ereignete sich etwa 160 Kilometer von den aktiven Frontlinien in der Donbass-Region entfernt. Ohnehin gab es in den letzten Wochen vermehrt Angriffe auf Munitionsdepots, Waffenlager und nun auch Infrastruktur fernab der aktiven Gefechtsgebiete, welche bisher aber vor allem ukrainischen Raketenangriffen oder Saboteuren zugeschrieben wurden. Möglicherweise wurden dort aber auch bereits Kamikazedrohnen erfolgreich eingesetzt, was für einen deutlichen Trend sprechen würde.

Ein großes Mysterium besteht darin, um welchen Drohnentyp es sich hierbei handelt und auf welche Weise die Ukraine sie qualitativ und quantitativ anwenden kann. Von einigen Beobachtern wird die Drohne des ukrainischen Bautyps PD-2 identifiziert, welche umfunktioniert für ihren Einsatz mit mehreren Kilogramm Sprengstoff ausgerüstet wird. Andere wiederum sehen darin kommerziell bestellbare Aufklärungsdrohnen aus China, die ebenso einfach umfunktioniert wurden. Beides ist gut möglich, immerhin besitzt die Ukraine seit 2014 die Einheit „Aerorozvidka“, welche ursprünglich aus Hobbymodellern für Drohnen bestand und seitdem mit ihrer Expertise eigens erstellte Kreationen entwickelt haben, die überall in der Ukraine eingesetzt werden. Beide könnten in hoher Stückzahl produziert/erworben werden, das Endergebnis darin ist im Jemen gut erkennbar.

Im Bürgerkriegsland Jemen sind die mithilfe vom Iran entwickelten Kamikazedrohnen wohl die effektivste Waffe der schiitisch-zaidischen Houthi-Rebellen, welche sie auf rigorose Weise gegen verschiedenste Ziele in ganz Saudi-Arabien einsetzen, zu den primären Zielen zählen aber die Energieinfrastruktur des Landes, Flughäfen und Militärbasen. Die neuesten Entwicklungen wie die Qasef-2K, Khatif, Samad-2/3 oder Shihab besitzen dabei teilweise eine bis zu 1.000 Kilometer lange Reichweite, sodass sogar bereits schon Ziele in den Vereinigten Arabischen Emiraten getroffen wurden, darunter Flughäfen oder das sich noch im Bau befindliche einzige Atomkraftwerk der VAE. Gerade Raffinerien waren dabei ein populäres Ziel, was unter anderem in dem Angriff auf die Anlagen in al-Abqaiq führte, der die Ölproduktion des Landes für mehrere Monate halbierte und zu globalen Preisanstiegen führte.

Der theoretischen Wirkungsmacht der Kamikazedrohnen zum Trotz geht der Krieg im Donbass auch völlig nahbar weiter. Dort gelang der russischen Armee ein wichtiger Etappensieg südlich von Lyssychansk, zusammen mit dem wohl ehemals schwer umkämpften Sievierodonetsk die letzten verbliebenen Städte des Oblast Luhansk unter ukrainischer Kontrolle. Dort konnten russische Einheiten innerhalb von 48 Stunden rund ein Dutzend Ortschaften erobern, darunter die noch zuvor für mehrere Monaten umkämpften Städte Zolote und Hirske, welche von ukrainischen Soldaten aufgrund einer drohenden Einkesselung kampflos aufgegeben werden mussten. Ein weiterer Vorstoß weiter nördlich konnte zunächst verhindert und der Ort Wowtchojariwka wiedererobert werden.

Pro-russischen Medien sollen sich in die inzwischen auf Teile von Hirske zusammengeschrumpfte Exklave noch Tausende ukrainische Soldaten gefangen sein, während Kiew von einem erfolgreichen Rückzug gesprochen hat. Die Wahrheit wird erst in wenigen Tagen offenbart werden, jedoch gibt es bis auf die Kapitulation von 16 ukrainischen Soldaten keine weiteren Indikatoren eines militärischen Sieges Russlands vor Ort, höchst wahrscheinlich gelang der Ukraine also ein erfolgreicher Abzug. Der Einkesselung vorausgegangen war ein Durchbruch beim Ort Toschiwka, woraufhin sich die Ukraine auf eine zweite Verteidigungslinie weiter nördlich zurückgezogen haben soll, die den raschen russischen Vorstoß zur Folge hatte. Nur noch zehn Kilometer trennen Russland von Lyssychansk, eine kurzzeitige Blockade der einzigen befestigten Nachschubroute zur Stadt konnte von der ukrainischen Armee aufgelöst werden, zumindest vorübergehend.

Einen Monat lang kam es zu schweren Gefechten in der einst 100.000 Einwohner zählenden Stadt Sievierodonetsk, die nun ihr jähes Ende gefunden haben soll. Dem lokalen Gouverneur zufolge entschloss man sich aus den vollständigen Rückzug nach Lyssychansk, nachdem man nur noch kleinere Gebiete im Industriegebiet, den Flughafen und die Waldgebiete südlich des Ortes kontrollierte. Ein ukrainischen Kriegsreporter sprach bereits von einem Abzug in der letzten Nacht, wobei vor allem mithilfe von Booten die Evakuierung und bisherige Versorgung stattgefunden haben soll, weil westlich der Stadt der Fluss Donets fließt.

Da alle Brücken zwischen Sievierodonetsk und dem Nachbarort Lyssychansk zerstört wurden, besaßen die Ukrainer kaum über schwere Waffen, einzig ein Kampfpanzer war in bestätigter Nutzung von den Verteidigern. Trotzdem gelang es den Ukrainern, den russischen Angreifer für einen Monat lang in den urbanen Häuserkampf vor Ort zu ziehen, was für beide Seiten äußerst verlustreich verlief. Russland reklamierte bereits Ende Mai, die Stadt erobern zu haben. Jedoch war in Folge einer erfolgreichen Gegenoffensive ukrainischer Einheiten, darunter auch die Internationale Legion, die Siedlung über die meiste Zeit zweigeteilt. Nun verbleibt nur noch Lyssychansk als bedeutende Stadt im Oblast Luhansk, welches aufgrund der gegebenen Topografie (auf einem Hügel gebaut und von zwei Seiten von einem Fluss umgeben) natürliche Verteidigungsmechanismen besitzt. Wie die Schlacht aber in der Realität aussehen wird, ist noch unklar.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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