Die Volksrepubliken im Visier

Trotz ihrer relativen Nähe zu den am härtesten umkämpften Gebieten im Ukrainekrieg sind die ostukrainischen Volksrepubliken bisher relativ glimpflich davongekommen zu sein, auch wenn inzwischen wohl ein Großteil der männlichen, wehrfähigen Bevölkerung erfolgreich zwangsmobilisiert wurde. Dies scheint sich nun aber radikal zu ändern. Seit der letzten Woche kommt es vermehrt zu Raketen- und Artilleriezentren auf die namensgebenden Bevölkerungszentren, Luhansk und Donezk. Dabei geraten militärische und zivile Ziele gleichermaßen in das Visier der Ukraine, dessen Taktikwechsel im Umgang mit den Separatistengebieten überraschend ist. Nicht weit davon entfernt kann Russland neue Gebiete erobern.

Tagtäglich prassen ukrainische Raketen und Artilleriegeschosse auf das Zentrum der Großstadt Donezk hinweg, einst die zweitgrößte Stadt des Landes. Gleichermaßen militärische und zivile Ziele werden dabei offenbar getroffen, auf den zentralen Straßen und Plätzen von Donezk werden ganze Häuserreihen beschädigt, Zivilisten verletzt und getötet. Am Samstag starben dabei fünf Personen, 12 Weitere wurden verletzt. Ebenso oft werden aber auch Munitionsdepots auf dem ganzen Territorium der Volksrepubliken zerstört, teilweise umfunktionierte Sporthallen oder Messegebäude. In Khrustalnyi, tief im Territorium der Donezker Volksrepublik, detonierte ein Waffenlager, welches durch die Sekundärexplosionen drei Tage lang brannte. Diese Angriffe liegen inzwischen an der Tagesordnung, scheinbar genährt durch neue Waffensysteme mit entsprechender Reichweite und passenden Geheimdienstinformationen. Pro-russische Blogger berichten davon, dass die Zerstörung der Munitionslager die russische Offensive im Donbass um mehrere Wochen zurückgeschlagen haben soll.

Seit 2014 bis heute veränderten sich die Frontlinien vor Donezk kaum, ukrainische Einheiten konnten sich erfolgreich vor den westlichen Toren der Stadt eingraben und von dort aus ohne Probleme reguläre Artillerie einsetzen. Unklar ist aber, wieso es erst jetzt eine Wende im Umgang mit den Volksrepubliken gekommen ist, die etwa drei Monate lang verschont blieben. Möglicherweise hat die Ukraine die Ambitionen aufgegeben, die gesamte Ostukraine wiedererobern zu können, weshalb man auch wenig Interesse an einer möglichst intakten Infrastruktur und einer ihnen gegenüber positiv gestimmten Bevölkerung hat. Einige Berichte besagen, dass durch die hohen Verluste der pro-russischen Separatisten ein Großteil der Artilleriebataillone aufgelöst werden mussten, weshalb die Ukrainer nun keinen Gegenbeschuss mehr erwarten müssen. Dies würde auch die Ankündigung erklären, dass Russland vermehrt Truppen in Donezk und Umgebung stationieren soll.

An den Frontlinien des Donbass sieht es nicht anders aus, auch dort kommt es zu explosiven Gefechten zwischen der Ukraine und Russland. Teile der seit einem Monat umkämpften Stadt Sievierodonetsk werden weiterhin von den ukrainischen Verteidigern gehalten, der lokalen Übermacht des Gegners zum Trotz. Ansonsten gab es relativ wenig Veränderungen, einzig südlich von Lyssychansk gelang ihnen ein erfolgreicher Durchbruch, wodurch sich russische Truppen nur noch ein Dorf vor den südlichen Stadttoren von Lyssychansk befinden.

Das ist dahingehend bedeutend, da die Stadt nicht nur die letzte Verbindung nach Sievierodonetsk darstellt, sondern aufgrund des Flusses Donets im Norden und Osten und ihrer Platzierung auf einem Hügel eigentlich als defensiv eingestuft wird. Ein Vorstoß im Süden oder sogar eine völlige Einkesselung würde diesen Vorteil aushebeln. Zudem sind die Kleinstädte Hirske und Zolote weiter südlich nahezu eingeschlossen, nur noch kleinere Feld- und Waldwege sichern den Ukrainern dort die Versorgung. Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass sich die ukrainische Armee von dort in näherer Zeit zurückziehen wird.

In letzter Zeit verstärkten sich auch wieder die Gerüchte, wonach Russland mögliche Landungsoperationen auf den Ort Odessa starten könnte, eine von zwei Hafenstädten unter ukrainischer Kontrolle und seit Jahrhunderten ein symbolisch und kultureller wichtige Siedlung in Russland/Ukraine, beizeiten auch als das „Kronjuwel“ bezeichnet. In den ersten Tagen des Ukrainekrieges bestand eine ernsthafte Gefahr von der Eroberung durch russische Soldaten, deren Vormarsch jedoch Dutzender Kilometer weiter östlich gestoppt werden konnte und sich Russland inzwischen auf einem Rückzug befindet. Ohne eine entsprechende Landbrücke erscheint eine amphibische Operation chancenlos, vor allem da der Überraschungsmoment verwirkt wurde und die Ukraine neue und mehr Antischiffsraketen erhalten haben, vor allem aus Großbritannien und den USA.

Entsprechend unwahrscheinlich also ist eine solche Operation, vor allem weil unklar ist, über welche Kräfte Russland noch verfügt, um sie für solch eine Mission zu mobilisieren. Nichtsdestotrotz verstärkt die russische Marine ihre Präsenz im Großraum des Schwarzen Meeres, vor allem um die Krim und die ukrainische Küste. Dort spielt auch die „Schlangeninsel“ eine zentrale Rolle, welche etwa 50 Kilometer vor Odessa liegt und seit ihrer Eroberung durch Russland mehrmals angegriffen, zerstört und mit neuen Waffen verstärkt wurde. Aktuell sollen sich über 20 verschiedene Systeme zur Flug-, Raketen- und Seeabwehr darauf befinden, ein Resultat aus den letzten ukrainischen Angriffen auf die Insel. Nun wurde dort wieder ein zum Transportboot umfunktionierter Schlepper zerstört, all den Verteidigungsmechanismen zum Trotz. Zudem wurde vor der Krim eine Ölplattform zumindest schwer beschädigt, sodass fünf Personen daraus verletzt und der Rest evakuiert werden musste.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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