Kein Ende in Sicht

Fast vier Monate schon dauert der Krieg in der Ukraine an, seitdem entpuppt sich der Konflikt immer weiter zu einem Abnutzungskrieg, in dem zwar die jeweiligen Fraktionen kleinere Gebiete erobern und halten können, dies aber nur durch erhebliche Verluste ermöglicht ist, was vor allem der offensiven Seite im Ukrainekrieg schadet. Waren die territorialen Veränderungen zu Beginn noch eher mit dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen, existieren heute eher Parallelen zum Ersten Weltkrieg, insbesondere in der über Jahre befestigten Region des Donbass in der Ostukraine. Seit letzter Woche können Russland und die Ukraine beide von Erfolgen und Rückschlägen gleichermaßen erzählen, der Ausgang daraus ungewiss. So unberechenbar und überraschend der bisherige Krieg auch war, lohnt sich manchmal ein Blick in die Zukunft, den unbekannten Variablen zum Trotz.

Die in der letzten Woche angestoßenen ukrainischen Offensiven im Norden und Süden des Landes sind weiterhin in vollem Gange, auch wenn sie in den letzten Tagen keine nennenswerten Geländegewinne verzeichnen konnte, einige Dörfer wechselten den Besitzer und anderswo konnte man die eigenen Kräfte konsolidieren. Russland hingegen konzentriert seine Armee auf die Frontabschnitte von Charkiw bis nach Donezk, wo man in ähnlicher Manier sukzessive vereinzelte Dörfer und feindliche Verteidigungsstellungen knacken kann. In ihrer Gesamtheit aber sind diese Entwicklungen in militärischer Hinsicht minimal. Der ukrainischen Armee scheint es an professionellen bzw. gut ausgebildeten Kräften und schweren Waffen zu mangeln, um eine größere Gegenoffensive durchführen zu können. Russland hingegen hat mit einer geringen Anzahl an Infanteristen, problematischer Logistik und niedriger Moral zu kämpfen, die einen langfristigen Sieg garantieren würden.

Ukrainische Einheiten kontrollieren weiterhin das Industriegebiet der seit fast einem Monat hart umkämpften Großstadt Sievierodonetsk, einer von zwei Orten im Oblast Luhansk, die sich noch unter ukrainischer Kontrolle befinden. Die Schlacht selber wird von einigen Beobachtern mit Gefechten im 2. Weltkrieg verglichen, derart brutal und zerstörerisch soll die Situation in Sievierodonetsk sein. Mariupol hat bereits eindrucksvoll bewiesen, dass urbaner Häuserkampf für den Angreifer nicht ohne immense Verluste, insbesondere bei den einfachen Infanteristen, möglich ist. Beide Seiten sollen dort Tausende Soldaten verloren haben, hinzu kommen Zehntausende tote Zivilisten. Der große Unterschied besteht aber darin, dass Mariupol bereits früh vollständig umschlossen und damit belagert werden konnte, während die Versorgungslinien an die Frontstadt im Donbass auch weiterhin halten und damit auch erklären, wieso sich die ukrainischen Verteidiger trotz einer Übermacht auf der gegnerischen Seite und einer Umkreisung von drei Seiten derart halten können.

Ein solches Gefecht würde kurz darauf nochmals mit ähnlichen Rahmenbedingungen um die Stadt Lyssychansk folgen, nur dass die Ukrainer dank Topographie in Form eines Flusses und Hügeln sich noch weiter im Vorteil befinden. Gemessen an den erheblichen Problemen bei der Eroberung von Sievierodonetsk alleine schon ist dies natürlich wenig im Interesse der russischen Streitkräfte, weshalb man hier stattdessen eine Einkesselung forcieren könnte. Nur noch 20 Kilometer trennen die russischen Fronten im Norden und Süden des Oblast Luhansk, seit dem Durchbruch bei der Siedlung Popasna besteht eine reelle Gefahr dafür. Bisherige Versuche sind aber kolossal gescheitert, im Norden schützt der Fluss Donets die Flanke, während im Süden „nur“ die ukrainische Armee den Weg blockiert.

Der Vorstoß weiter nordwestlich auf die ukrainische Stadt Slowjansk scheint aktuell die einzige Front zu sein, bei der Hoffnungen/Befürchtungen bezüglich eines größeren russischen Militärerfolges bestehen. Dies könnte aber durch die ukrainische Gegenoffensive bei Izium unterbunden werden, durch die die einzige sichere Nachschubroute verläuft. Ansonsten scheint eine weitere russische Offensive derzeit eher in weiter Ferne. Abgefangene Telefongespräche russischer Soldaten durch die Ukraine offenbaren groteske Zustände:

Ausbleibende Bezahlungen, massenhafte Verluste (z.B. von einer Einheit von anfänglichen 100 verbleiben nur noch 15), niedrige Moral, Fahnenflucht, unklare Kommandostrukturen und Widerwillen prägen das durchschnittliche Leben eines russischen Frontsoldaten. Hinzu kommen auch die materiellen Verluste, auch wenn Russland dort vor allem in der Sektion der Artillerie im Vorteil scheint. Statt modernen Militärfahrzeuge finden immer mehr 60 Jahre alten T-62-Kampfpanzer oder die ebenso alten BMP1-Schützenpanzer ihren Weg an die Front, die sicherlich die Überlebenschancen nicht erhöhen.

Im nördlichen Donbass finden derzeit die schwersten Gefechte des Krieges statt.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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