
Zelenskys Überraschungsbesuch an der Front ist nicht das einzige symbolträchtige Ereignis in der Ukraine der letzten Tage gewesen. Lokale Gegenoffensiven der ukrainischen Streitkräfte tragen bisher weniger zu tatsächlichen Wiedereroberungen bei, als dass sie die offensiven Kapazitäten Russlands beschneiden und ihre militärischen Ziele verhindern, wie man aktuell in der am härtesten umkämpften Stadt des Landes, Sievierodonetsk, beobachten kann. In der Südukraine setzen russische Kräfte inzwischen den über 60 Jahre alten T-62-Kampfpanzer ein, was auf schwindende Reserven hindeutet, vor allem da sich die russische Armee zum größten Teil auf die Donbassregion konzentriert und auch dort nur bedingt Erfolge verzeichnen kann, vor allem gemessen auf den Zeitraum des Ukrainekrieges.
Territoriale Veränderungen gab es in den letzten Tagen kaum zu verzeichnen oder sie unterlegen dem Nebel des Krieges, der derzeit so dicht und stark ist wie schon lange nicht mehr. Im Süden des Landes geht die ukrainische Gegenoffensive wie gewohnt weiter, das Verteidigungsministerium bestätigt die Eroberung mehrerer Dörfer am anderen Ufer des Inhulets, was sich bereits in der letzten Woche abzeichnete. Das derzeitige Tempo dort ist aber vergleichsweise langsam, weshalb die Erfolgsaussichten unklar sind. Im Rampenlicht der Gefechte steht aber ein anderes Gebiet, namentlich die Donbasser Großstadt Sievierodonetsk. Dort kam es am Sonntag zu einem überraschenden Frontbesuch des ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelensky, welcher die Militärbasen in dem wenige Kilometer südlich gelegenen Lyssychansk und dem Oblast Saporischschja besuchte. Die moralische Unterstützung wird nochmals dadurch verstärkt, dass es sich um seinen ersten Besuch in den Frontgebieten handelt.
Nachdem die ehemals 100.000 Einwohner große Stadt nahezu kampflos von ukrainischer Seite aufgegeben wurde und fast von Russland erobert wurde, wendete sich plötzlich das Blatt: Nach einer erfolgreichen Gegenoffensive soll sich unterschiedlichen Berichten zufolge bis zu 70% des Ortes unter ukrainische Kontrolle fallen, zudem wurde der südöstliche Nachbarort Malinka wiedererobert. Damit hätten russische Einheiten nur noch einen Zugang aus nördlicher Richtung nach Sievierodonetsk. Diese Angaben lassen sich aber noch nicht vollständig bestätigen, einzig bekannt sind Videos von ukrainischen und internationalen Soldaten im Zentrum der Stadt und Artillerieangriffe auf die Viertel am südlichen Stadtrand. Es gibt aber auch widersprüchliche Angaben, wonach die Ukraine zwar seine Präsenz in der Stadt halten konnte, aber nicht in irgendeiner Weise nennenswert vorrückte. Ein großes Fragezeichen dabei sind die Verluste auf beiden Seiten, worüber es keinerlei Informationen gibt.
In der Südukraine wurden auf russischer Seite vermehrt die rustikalen T-62-Kampfpanzer gesichtet, welche bis 1975 produziert wurden. Während man laut eigenen Angaben Tausende Panzer dieses Typs als Reserve bereitzustehen hat, befindet sich ein kleiner Teil davon bis heute in den Händen der regulären Streitkräfte, wie man nun auch in der Ukraine beobachten kann. Dem vorausgegangen waren die Kriegserfahrungen in Tschetschenien, in denen die wesentlich moderner und besser ausgerüsteten T-80s und T-72Bs der asymmetrischen Kriegsführung erhebliche Verluste erleiden mussten, die in keinem Verhältnis zu den dafür investierten Ressourcen standen. Vor allem aber war ihr Zweck dort relativ redundant, immerhin waren keine Gefechte mit anderen Panzern oder anderem schweren Militärgerät zu erwarten. Für diesen Zweck wurden dann die T-62-Kampfpanzer in den Dienst gestellt, welche aufgrund ihres Alters und Zuverlässigkeit, gerade in logistischer und mechanischer Hinsicht, diesen Sinn genauso gut erfüllen konnten, ohne dabei die wirklich wichtigen Panzer einzusetzen.
Dieser Hintergrund erlaubt zwei mögliche Interpretationen, die beide für Russland wenig rosig erscheinen: Entweder mangelt es dem russischen Militär an moderneren Kriegsgerät, mit dem bestätigten Verlust von über 760 Panzern innerhalb von drei Monaten gibt es einige Indikatoren dafür, oder Russland hat in der Südukraine mit ständigen Partisanen- und Sabotageakten zu kämpfen, die z.B. den gepanzerten Schutz von Militärkonvois benötigt oder die gesicherte Kontrolle über Knotenpunkte, Städte etc. Ersteres Szenario erscheint dabei aber wahrscheinlicher, weil es sich bei den T-62 um die letzte und zugleich beste Reserve der regulären Streitkräfte handelt, da sie einerseits viel zu alt für einen modernen Krieg sind, andererseits aber regulär gewartet werden (eine Seltenheit innerhalb der russischen Armee) und zudem über die Jahrzehnte möglichst verbessert und modernisiert wurden, zumindest so sehr das bei einem inzwischen 60 Jahre alten Panzer möglich ist.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.
Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.
Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.