
Seit 100 Tagen herrscht Krieg in der Ukraine. Was von allen Seiten als ein kurzer, maximal eine Woche andauernder Krieg zwischen Russland und der Ukraine angenommen wurde, bewegt sich inzwischen auf den vierten Konfliktmonat zu. Bisher ist davon auch kein Ende in Sicht, denn in der ostukrainischen Donbassregion konzentrieren beide Seiten den Großteil ihrer Streitkräfte, jedes Dorf und jeder Hügel wird derzeit brutal umkämpft. Die russische Armee konsolidiert ihre Positionen entlang des Donets-Flusses, welcher sich auf ukrainischer Seite zum effektivsten natürlichen Bollwerk gegen die vorrückenden russischen Einheiten in der Region entpuppt. Russland hingegen kann auf die schiere Masse des eigenen Militärs setzen, welches sich vor allem im Bereich der Artillerie ausdrückt. Schwere Gefechte in den urbanen Zentren des östlichen Donbass prägen aktuell das Geschehen in der Ukraine.
Im Donbass spitzt sich die Lage weiter für die Ukraine zu. Im nördlichen Frontabschnitt, im Gebiet zwischen dem kürzlich von Russland gesicherten Lyman und Izium konnten russische Truppen inzwischen fast das gesamte Territorium nördlich des Flusses Donets sichern, welcher sich in den letzten Wochen ein integraler Bestandteil der ukrainischen Verteidigungslinie herausstellte. In diesem Zeitraum kam es immer wieder russische Überquerungsversuche, die aber allesamt in einem Desaster mit hohen Verlusten endeten. Nichtsdestotrotz ist es nur eine Frage der Zeit, bis Russland einen größer angelegten und koordinierten Landungsversuch auf breiter Front versuchen wird. Bis dahin aber dauern die Gefechte anderorts weiter an.
Wie aktuell z.B. im äußersten Osten in der Großstadt Sievierodonetsk. Entgegen der falschen Berichterstattung, wonach sich ukrainische Soldaten aus dem Ort komplett hinter den Donets zurückgezogen haben, finden weiterhin im Süden und Zentrum von Sievierodonetsk brutale Gefechte statt, es gibt sogar unbestätigte Berichte von erfolgreichen Gegenangriffen ukrainischer Einheiten, die in der Stadt einen Vorteil dank des urbanen Häuserkampfes haben. Dennoch ist zu erwarten, dass Russland die Stadt in den kommenden Tagen und Wochen erobern wird. Auf der anderen Seite des Donets folgt dabei bereits die nächste Herausforderung: Die ähnlich große Siedlung Lyssychansk.
Im Gegensatz zu Sievierodonetsk aber wird sie von zwei Seiten durch den bereits erwähnten Fluss geschützt, zudem befindet sich die Stadt auf einem Hügel, welcher über 200 Meter höher als die Umgebung ist. Mit diesen Bedingungen wäre eine russische Eroberung bedeutend schwieriger, aber definitiv nicht unmöglich. Gerade das Risiko einer Einkesselung, welche das russische Militär derzeit etwa zehn Kilometer südwestlich von Lyssychansk versucht, nährt die Gefahr eines raschen Sieges Russlands und die damit verbundene vollständige Kontrolle über den Oblast Luhansk. Dort aber kann Russland bisher seit dem Durchbruch bei Popasna aber nur langsam vorrücken, nachdem ukrainische Soldaten ihre Präsenz dort verstärkten. Zunächst aber muss die Schlacht um Sievierodonetsk entschieden werden, erst darauf kann der Kampf um Lyssychansk beginnen.
In der Südukraine dauert die ukrainische Gegenoffensive im Oblast Kherson weiter an, auch wenn sie nur aufgrund ihrer geringen Größe und lokalen Einschränkung eher nur bedingt Erfolge verzeichnen kann. An mehreren Punkten wurde der Fluss Inhulets übertreten, welcher von Russland als Schutzbarriere genutzt wurde. Südlich des Ortes Davidiy Brid sollen ukrainische Verbände derzeit vorstoßen. Von dort aus sind es noch etwa 40 Kilometer bis nach Nowa Kachowka, eine Stadt mit einem Staudamm und einem von zwei Brücken im Süden des Landes, die den großen Fluss des Dnepr überqueren und unter russischer Kontrolle stehen. Vorausgesetzt, dass es sich dabei um das tatsächlich angepeilte Ziel der ukrainischen Operation handelt. Nach derzeitigem Stand ist es wohl wahrscheinlicher, dass das primäre Ziel die Erweiterung der Sicherheits- und Pufferzone südlich der Großstadt Kriyvi Rih ist, um zukünftige russische Vorstöße dort zu vereiteln.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.
Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.
Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.