Die Schlinge der Donbassfront

Der Krieg im Osten zwischen der Ukraine und Russland geht unvermindert weiter, den hohen Verlusten zum Trotz können die russischen Streitkräfte in der vergangenen Woche wichtige Bodengewinne verzeichnen. Die ersten Gefechte finden in den letzten urbanen Zentren des Oblast Luhansk statt, welches bald vollständig unter russischer Kontrolle fallen könnte. An vielen Abschnitten der Front bröckelt die Verteidigung, auch wenn sie insgesamt hält und die russischen Versuche einer Einkesselung bisher verhindert werden konnten. Ankündigungen von neuen westlichen Waffensystemen birgt vor Ort die Hoffnung, größere Niederlagen vermeiden zu können. Am Ende von alledem steht ein brutaler Abnutzungskrieg, der noch mehrere Monate andauern wird.

Die letzten ukrainischen Stellungen im Oblast Luhansk drohen zu fallen. Die ersten Gefechte erreichen das urbane Zentrum von Sievierodonetsk, vor dem Krieg eine 100.000 Einwohner zählende Stadt inmitten der Donbassregion. Russische Einheiten mit Unterstützung tschetschenischer Kämpfer drangen im Nordosten und möglicherweise auch im Süden des Ortes vor und konnten dabei die ersten Häuserblöcke sichern, darunter auch eine größere Hotelanlage. Noch ist unklar ob und wie viele Kräfte die ukrainische Armee darin investieren wird, den Ort noch zu halten. Auf der einen Seite ist die Stadt von drei Seiten umzingelt und mitten im Kreuzfeuer der russischen Artillerie, auf der anderen Seite handelt es sich um eine größere Siedlung, was einen Vorteil für die Verteidiger darstellt, wie die Gefechte um Kiew, Tschernigow, Sumy usw. in der Nordukraine gezeigt haben.

Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis Sievierodonetsk vollständig fallen wird. Weiter südlich davon liegt die Stadt Lyssychansk, was der letzte Ort unter ukrainischer Kontrolle im Oblast Luhansk darstellen würde. Die beiden Städte sind durch den Fluss Donets getrennt, was sich über die letzten Wochen als äußerst effektive Schutzbarriere für die Ukraine herausgestellt hat. Bereits mehrmals versuchte Russland erfolglos, die oben genannten Gebiete durch einen Überquerungs- bzw. Landungsversuch des Flusses Donets weiter westlich zu kesseln. Diese scheiterten jedoch auf spektakulärer Weise, in dessen Prozess Russland über 120 Militärfahrzeuge bestätigt verlor. Auch bei Lyssychansk wird der Donets also eine wichtige Hürde für die russischen Anstrengungen darstellen, auch wenn Lyssychansk unter dem Risiko steht, vom Zangenangriff aus Popasna belagert zu werden.

Der russische Durchbruch bei Popasna sorgt weiterhin für erhebliche Probleme auf ukrainischer Seite. Russische Truppen konnten weitere Dörfer im Umkreis erobern und dabei auch Siedlungen wie Nahirhne, Vasylivka oder Komushuvakha sichern, wodurch die letzte Versorgungsroute nach Lyssychansk unter russischer Feuerkontrolle steht, zumindest partiell. Es gibt noch einige Waldwege etc., die in unregelmäßigen Umständen von russischen Haubitzen attackiert werden, effektiv ist aber noch kein Kessel dort geschaffen. Dank einiger ukrainischer Wiedereroberungen nördlich von Popasna ist die Gefahr eines solchen Militärmanövers zwar nicht mehr akut, aber in näherer Zukunft sehr wahrscheinlich. Die ukrainischen Streitkräfte scheinen bisher wenig gewillt zu sein, sich aus dem anbahnenden Kessel zurückzuziehen, sondern suchen stattdessen den offenen Kampf mit Russland in der Region.

Ohnehin wird der Donets in Zukunft von besonderer Bedeutung sein. Den bisherigen Überquerungsversuchen Russlands zum Trotz erweist sich der Fluss als natürliche Barriere, während sämtliche Gebiete nördlich davon aktuell vom russischen Militär erobert werden. Darunter fällt auch die Kleinstadt Lyman, welche fast vollständig unter russischer Kontrolle steht. Der Ort selber wurde von den Ukrainern kaum verteidigt, stattdessen zog man die eigenen Kräfte weiter südlich zurück, über den Donets hinweg. Dieses Szenario wird sich in nächster Zeit des Öfteren wiederholen und zumindest für einige Zeit die nördliche Donbassfront prägen. Dort könnten auch die neuesten westlichen Waffensysteme ein möglicher Gamechanger darstellen, namentlich will die USA mehrere Mehrfachraketenwerfer (MLRS und HIMARS) an die Ukraine in der kommenden Woche liefern, die ersten Systeme stehen bereits an der ukrainisch-rumänischen Grenze bereit. Diese Waffen verfügen über eine Reichweite von mehreren Hundert Kilometern und könnten die Artilleriebalance in der Ostukraine entscheidend zugunsten der Ukraine verlagern.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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