Türkei droht neue Militäroffensive gegen Kurden

So würde der von der Türkei kontrollierte, 30km breite Gebietsstreifen an der Grenze am Ende der Operation aussehen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan drohte vor wenigen Tagen mit einer neuen Militäroperation gegenüber dem arabisch-kurdischen Milizenbündnis der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) in Syrien, welche immer wieder für regelmäßige Angriffe und Anschläge auf türkische Truppen im Norden des Landes verantwortlich gemacht werden. Zusammen mit ihren islamistischen Stellvertretern könnten sie somit jenes Szenario wiederholen, welches bereits die Regionen von Afrin und Ras al-Ayn erleben mussten: Zerstörung und die darauffolgende Vertreibung der kurdischen Bevölkerung zugunsten der Ansiedelung syrisch-arabischer Flüchtlinge, die Türkei treibt also permanent einen demographischen Wandel voran. Während es bisher keine Indikatoren für eine tatsächliche Umsetzung gibt, muss diese Drohung im Hintergrund der aktuellen Entwicklungen gesehen werden: Die Türkei blockiert den NATO-Beitritt der skandinavischen Länder und agiert nur zögerlich bei Russlandsanktionen. Im Gegenzug dafür erwartet die Türkei Zugeständnisse für ihre eigenen Interessen, die man ebenfalls für die kommenden Parlamentswahlen ausnutzen kann.

Vor zwei Tagen drohte der türkische Präsident Erdogan erneut mit einer bevorstehenden Militäroperation im Norden Syriens, um entlang des gesamten Grenzgebietes, welches aktuell noch unter der Kontrolle der kurdisch-arabischen Milizen steht, einen 30 Kilometer breiten „Sicherheitskorridor“ zu errichten, der die Türkei vor weiteren Terrorangriffen durch die PKK bzw. kurdische Gruppierungen beschützen soll. Davon betroffen wären Hunderttausende der mehrheitlich kurdischen Einwohner. Die Geschichte von türkisch eroberten Gebieten wie in Afrin oder dem Grenzstreifen zwischen Tel Abyad und Ras al-Ayn zeigt dabei, dass ein integraler Bestandteil davon die ethnische Vertreibung von Kurden bzw. ein demographischer Wandel darstellt, da stattdessen Millionen syrische Flüchtlinge aus den mehrheitlich arabischen und sunnitischen Gebieten Syriens dort angesiedelt werden.

Für ein großes Fragezeichen sorgt noch die Großstadt Qamishli, welche die provisorische Hauptstadt der Autonomen Föderation von Nord- und Ostsyrien darstellt und direkt an der Grenze zur Türkei liegt. Mehrere Viertel, der örtliche Flughafen und der Grenzübergang wird aber von der syrischen Regierung kontrolliert, beide Seiten haben grundsätzlich gute Beziehungen, auch wenn es immer wieder vor Ort zu Scharmützeln kommt. Inwiefern sie von der türkischen Offensive betroffen wären ist noch unklar, zumindest aber würde die direkte Angrenzung zwischen pro-türkischen Oppositionellen und der Regierung in der Zukunft zu erheblichen Spannungen führen. Vielleicht startet die Türkei stattdessen nur eine kleinere Offensive auf die kurdische Exklave im Nordwesten Syriens, Tel Rifaat. Das Gebiet war einst Teil von Afrin und ist seitdem relativ isoliert von der syrischen Regierung abhängig und verwaltet. Von dort aus werden immer wieder Anschläge auf die pro-türkischen Gebiete gestartet und ist dementsprechend ein Dorn im Auge der Türkei.

Der Zeitpunkt von Erdogans neuesten Drohungen ist dabei nicht überraschend. Einerseits stehen in der Türkei Parlamentswahlen an nächstes Jahr, Erdogan und seine AKP haben in den aktuellen Umfragen aufgrund ihrer schlechten Wirtschaftspolitik erhebliche Verluste einbüßen müssen, eine Abwahl scheint nach dem derzeitigen Stand wahrscheinlich. Wesentlich wichtiger aber ist der Umstand dessen, dass der Ukrainekrieg herrscht. Während die Türkei ein NATO-Mitglied ist, vertreten sie in erster Linie verschiedene Interessen von ihren Partnern, wie Syrien, Libyen oder Armenien eindrucksvoll bewiesen haben. Während die Türkei bereits Monate und Jahre vor dem Ausbruch des Krieges die ukrainische Regierung mit Waffenlieferungen und Investments unterstützt haben, pflegen sie auch gute Beziehungen zu Russland, gerade wirtschaftlich. So schloss sich das Land bisher eher zögerlich den Sanktionen an, russische Oligarchen haben zur Türkei weiterhin freien Zutritt.

Der wahre Zankapfel aber bilden die bevorstehenden NATO-Mitgliedschaften von Finnland und Schweden. Die Türkei kündigte bereits mehrmals an, aufgrund der toleranten Politik zu kurdischen Separatisten wie z.B. der PKK gegenüber der beiden nordeuropäischen Länder einen Beitritt zu blockieren. Vor kurzem kündigte der anatolische Staat an, die Beziehungen zum Nachbarland scheinbar grundlos zu minimieren. Dahinter steckt wohl die Taktik, politisches Kapital aus den Verhandlungen herauszuschlagen, welches wiederum ebenfalls innenpolitisch als Erfolg umgemünzt werden kann. In der Vergangenheit blockierte die USA und andere Länder Waffenlieferungen von z.B. Flugabwehrsystemen oder Kampfjets an die Türkei, da sie derart enge Beziehungen zu Russland pflegten. Es wäre also nicht überraschend, wenn zugunsten der NATO-Mitglied von Finnland und Schweden die „kurdische Schutzmacht“ der USA sich dazu bereit erklärt hat, die syrischen Kurden zu opfern.

Das Endergebnis einer solchen erfolgreichen Militäroperation wäre facettenreich und für die SDF fatal. Denn in dieser 30 Kilometer breiten Zone handelt es sich um das „kurdische Kernland“ in Syrien, fernab davon machen Kurden nur in den jeweiligen Regionen eine Minderheit unter den arabischen Gebieten aus. Dies wiederum würde höchst wahrscheinlich zu fraktionsinternen Kämpfen und Querelen führen, da die SDF zwar selber ein Dachbündnis zwischen verschiedensten arabischen und kurdischen Gruppierungen darstellt, die kurdische PYD bzw. deren militärischer Flügel der YPG aber klar dominiert innerhalb der Strukturen. Zudem müsse man einen großen Teil der für ganz Syrien wichtigen Landwirtschaftsfläche aufgeben und vor allem die urbanen Zentren verlassen, für die SDF würden damit nur noch einzig die größeren Städte Raqqah, Hasakah und Tabqa existieren, während man Orte wie Qamishli, das symbolträchtige Kobane oder al-Malikiyah verliert. Der Schaden für die SDF wäre damit offensichtlich, genauso wie die größer werdende Abhängigkeit von ausländischen Nationen im Syrienkrieg.

Denn diese Staaten sind auch jene, die als Nutznießer aus diesem Konflikt herausgehen würden. Neben dem offensichtlichsten Gewinner der Türkei ist es auch Russland, die USA, der Iran und die syrische Regierung, welche jeweils aus der Situation siegreich hervorgehen könnten. Seit der Präsidentschaft von Donald Trump sank der Einfluss der USA in Syrien erheblich, dieser konnte nur teilweise unter Biden wiederhergestellt werden, heute patrouillieren US-Truppen nur noch regelmäßig im ölreichen Osten des Landes, während ein Großteil des SDF-Territoriums stattdessen unter den Schutzmächten Russlands und der syrischen Regierung steht. Diese nutzten die Gunst der Stunde unter dem Machtvakuum von Trump aus und errichteten mehrere Militärbasen unweit des von der Türkei und ihren Stellvertretern kontrollierten Territoriums. Russland hat wie die USA immer wieder gezeigt, dass sie kurdische Interessen zugunsten der Eigenen fallen lassen, während die syrische Regierung selber nicht dazu fähig ist, einer türkischen Offensive standzuhalten. Seitdem herrscht ein wackeliger Friede zwischen all den verschiedenen Fraktionen in Nordsyrien, der nun erneut bedroht wird.

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