
Nach mehrwöchigen Misserfolgen und Rückschlägen für die russischen Streitkräfte in der Ostukraine scheint ihnen nun in den letzten 48 Stunden ein großer Coup gelungen zu sein: Seit der Eroberung der Garnisonsstadt Popasna, welche zugleich auf einer Anhöhe liegt und dementsprechend von strategischer Bedeutung ist, ist der russischen Armee ein Durchbruch durch die ukrainischen Verteidigungsstellungen gelungen, die nun die östlichsten Positionen der Ukraine durch eine mögliche Einkesselung gefährden. Derzeit finden unweit der letzten Straße zum Rest der Ukraine brutale Gefechte statt, Russland kann jeden Tag mehrere Dörfer in der Region erobern und damit die Schlinge immer fester zu ziehen. Ein russischer Sieg hier würde nicht nur die Umkreisung mehrerer ukrainischer Einheiten und ihrer über lange Zeit befestigten Verteidigungen bedeuten, sondern auch zur Eroberung des Oblast Luhansk führen. Dies wäre der erste größere Militärsieg neben Mariupol für Russland.
In den Frontstädten Sievierodonezk und Lysytchansk gibt die Situation wenig Anlass für Optimismus. In den beiden östlichsten Orten unter ukrainischer Kontrolle gibt es seit Wochen kaum noch funktionierende Infrastruktur, der Zugang zu Wasser und Strom ist die Ausnahme. Die lokalen Behörden berichten davon, wie sich die humanitäre Situation vor Ort wöchentlich verschlimmert. Für Hilfslieferungen ist die letzte Route nach Sieverodonezk bereits so gefährlich, sodass sie in der Vergangenheit des Öfteren unter Beschuss gerierten. Die wenigen tausend Einwohner in der Region werden von der Kampfstärke und Präsenz der ukrainischen Armee und lokalen Milizen bei weitem überschattet. Für Beide wächst aber täglich das Risiko, nie mehr diesen Ort verlassen zu können.
Denn in den letzten Tagen konnten russische Einheiten erhebliche Erfolge nach ihrem Durchbruch bei Popasna vorweisen, wo sie die Lage konsolidieren und ein Puffergebiet durch die Sicherung der umliegenden Dörfer errichten konnten, ein früher Gegenangriff der ukrainischen Truppen erscheint bisher eher unwahrscheinlich. Von Popasna als Ausgangspunkt eines neuen Vorstoßes wird derzeit die letzte Nachschubroute in Richtung Osten bedroht, von der Situation am Boden gibt es widersprüchliche Angaben. Das ukrainische Militär räumt territoriale Verluste und den Rückzug auf bessere Verteidigungspositionen auf mehrere Kilometer vor der Straße nach Sievierodonetsk ein, während russische Medien von höheren Geländegewinnen berichten, wodurch man bereits vor den Toren Soledars, Vrubivkas und Pokrovskes steht, sprich also die letzte Verbindungsstraße bereits durchtrennt hat.
Diese Entwicklung erklärt auch die letzten militärischen Bewegungen seitens Russlands. In dem bereits thematisierten Gebiet konzentriert sich ein Gros der russischen Streitkräfte, nachdem der Einkesselungsversuch der gesamten Donbassregion bei Izium gescheitert ist. Stattdessen verlagerte sich der regionale Schwerpunkt weiter nach Osten, es erfolgten mehrere russischen Überquerungsversuche westlich von Sievierodonetsk über den Fluss Donets, welche aber allesamt kolossal gescheitert sind, visuell bestätigt sind über 120 zerstörte Militärfahrzeuge in Folge von mindestens drei Landungsoperationen. Im Gegensatz dazu erscheint der Zangengriff im Süden bei Popasna ein völliger Erfolg zu sein mit dem Ziel, die letzten ukrainischen Territorien im Oblast Luhansk zu umkreisen bzw. letzten Endes zu erobern.
Jedoch beweisen militärische Auseinandersetzungen und zuletzt auch dieser Krieg die unberechenbare Natur von Konflikten. Während die Situation keine Frage kritisch für die ukrainischen Kräfte vor Ort wirkt, so ist der Ausgang dieser Tage ungewiss. Eine erfolgreiche Isolierung und Umkreisung des Kiewer Militärs bei Sievierodonetsk ist ebenso wahrscheinlich wie eine erfolgreiche Verteidigung, wie man sie bereits vielerorts im Donbass sehen konnte. Nach der erfolgreichen Charkiw-Offensive und Izium-Defensive besitzt die Ukraine auch dank der massenhaften Mobilisierung mithilfe westlicher Waffensysteme auch die Kapazitäten, Verstärkungen an kritische Punkte zu verlagern. Auf der anderen Seite besitzt Russland trotz der immensen Verluste auch weiterhin über genügend Feuerkraft, um solche Manöver erfolgreich ausführen zu können, auch wenn es keine aktuellen Beispiele dafür gibt.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.
Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.
Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.