Russland in der Defensive

Seit einem Monat schon wütet ein immer brutaler werdender Krieg in der Ukraine, nachdem die russischen Streitkräfte in der Nacht zum 24. Februar eine groß angelegte Militäroffensive gestartet haben. Was eigentlich nur eine kurzfristige Mission werden sollte, entwickelt sich immer weiter zu einem bodenlosen Fass für die russische Armee: Keine der wichtigen Städte oder Etappenziele konnten erreicht werden, stattdessen dominieren schwere Verluste und moralische & logistische Probleme. Nach dem Verlust der Initiative soll nun einigen Indizien zufolge das russische Militär in einen defensiven Modus wechseln, nur noch punktuell Offensiven starten und ihre eroberten Gebiete entlang der Grenze konsolidieren, Ausdruck der bisher verfehlten Militärziele.

Seit einem Monat schon bleiben Russland ernsthafte Erfolge aus, einzig die Belagerung von Mariupol und die damit entstehende Landbrücke zwischen der Krim und dem Donbass kann man als Etappensieg verbuchen, insofern die Hafenstadt auch in den kommenden Tagen und Wochen eingenommen wird. Unter diesen Umständen und den später noch thematisierten Verlusten ist es nicht überraschend, dass Russland von einer gänzlich umfänglichen Offensive zu einer Punktuellen übergegangen ist, die sich auf die Ostukraine konzentriert. Im Süden bei Kherson und bei Kiew ist man stattdessen in den Verteidigungsmodus übergangen, was wiederum der Ukraine Gegenangriffe erlaubt.

So wurde am Donnerstag ein russisches Landungsschiff in dem kürzlich eroberten Ort Berdjansk vollkommen zerstört, einige Medien sprechen sogar von bis zu zwei beschädigten Booten. Das Landungsschiff der Ropucha-Klasse bedrohte zuvor noch die Großstadt Odessa, jedoch wurden aufgrund niedriger Erfolgschancen eines amphibischen Angriffes die Flotte stattdessen für Nachschubtransporte nach Berdjansk genutzt, unweit von Mariupol. Die ukrainische Artillerie, immer noch existente Luftwaffe und Drohnen stellen eine tödliche Bedrohung für eine russische Armee, die sich nun eher in der Verteidigung sieht und damit Defensivpositionen errichtet, obwohl die Versorgung dazu fehlt. Es soll erhebliche Probleme bei der Errichtung von Schlafquartieren geben, da die Militärmission ursprünglich nur wenige Tage andauern sollte. Das wiederum soll bereits zu mehreren Todesfällen durch Unterkühlung geführt haben, bestätigt ist dies aber nicht.

Tatsächlich gab es die meisten territorialen Veränderungen in der Umgebung von Kiew – zugunsten der ukrainischen Streitkräfte. Sowohl im Nordwesten, als auch im Nordosten konnten ukrainische Soldaten den Gegner zurück in Richtung der Grenze schlagen, wenn auch unterschiedliche Angaben zum Erfolg dieser Mission bestehen. Dem ukrainischen Verteidigungsministerium zufolge konnte man russische Einheiten bis zu 60 Kilometer von der Hauptstadt entfernt zurückstoßen, während sie zuvor bis zu 20 Kilometer von den Stadttoren entfernt waren. Angeblich wurden zudem russische Verbände im Nordwesten in den Vororten Gostomel, Butscha und Vorzel eingeschlossen, sodass sie von dort nicht fliehen können.

Beweise dafür existieren jedoch nicht, belegt sind hingegen kleinere Bodengewinne die in der Wiedereroberung der Orte Makariw, Mykolaiw und Moschun mündeten. Gostomel und der dazugehörige Flughafen müsste noch durch zwei Nachschubrouten in Richtung Belarus verbunden sein, auch wenn sie potentiell unter Schussreichweite des ukrainischen Militärs liegen. Im Nordosten ergibt sich ein ähnliches Bild der ukrainischen Behauptungen, jedoch sind die Beweise dort noch inexistenter. Demzufolge konnte man etliche Dörfer in der Region zwischen dem zumindest teilweise belagerten Tschernigow und Kiew sichern, nachdem russische Einheiten ihre Nachschubwege unbewacht ließen. Während also die optimistischen Darstellungen seitens der Ukraine eher aus der Luft gegriffen sind, konnte das osteuropäische Land konkrete Erfolge bei kleineren Gegenoffensiven erzielen.

Die russischen Verluste sind weiterhin immens, auch wenn sie keinen Vergleich zu den anfänglichen Todeszahlen darstellen. Die Anzahl der russischen Toten bleibt ein Rätsel, die NATO zumindest schätzt die Ziffer in einem breiten Spektrum von 7.000 bis 15.000 getöteten Soldaten. Rechnet man dann noch Verwundete, Vermisste, Überläufer etc. ein, käme man dem Militärbündnis zufolge sogar auf 40.000 Russen, was etwa 20% der anfänglich mobilisierten Streitkraft ausmachen würde bzw. rund ein Drittel der aktiven Frontkämpfer fernab organisatorischer oder logistischer Aufgaben.

Auf der Onlineplattform der russischen Boulevardzeitung „Komsomolskaya Prawda“ wurde vorübergehend ein Artikel veröffentlicht, welcher wohl unabsichtlich die Todeszahlen des eigenen russischen Verteidigungsministeriums gezeigt haben soll. Demnach wurden 9.861 Soldaten getötet und 16.153 Weitere verletzt. Inwiefern diese Zeitung Opfer eines unabsichtlichen Leaks, eines Hacks oder einfach Falschinformationen geworden ist, ist schwer zu überprüfen. Zumindest decken sich diese Angaben mit denjenigen Schätzungen westlicher Staaten und Geheimdienste und wären für den kurzen Zeitraum fatale Verluste. Die letzten offiziellen Statistiken seitens Russland sind zwei Wochen alt und geben etwa 500 tote Soldaten als Fakt an.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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