Russland im Wettlauf mit der Zeit

Eine Militäroffensive die nicht wie geplant verläuft, schwere Verluste, erheblicher Widerstand und ausbleibende Erfolge in den letzten Tagen: Die Invasion der Ukraine erweist sich für Russland zu einem kostenspiegeln Unterfangen ohne einen absehbaren Sieg. Mit jedem verstrichenen Tag werden die eklatanten Probleme der russischen Streitkräfte offensichtlicher, trotz einer Übermacht kämpft das Militär mit fehlender Lufthoheit, enormen Logistikproblemen, dem Widerstand der lokalen Bevölkerung und scheint bisher darauf keine Antworten zu finden. Innen- und außenpolitisch spitzt sich die Situation für die russische Regierung ebenfalls zu. Zwar hat der Krieg erst begonnen und ein Ende ist dementsprechend schwer diagnostizierbar, feststeht aber, dass Russland nicht die militärische Macht darstellt, als die es sich nach außen porträtiert.

Als wohl offensichtlichstes Eingeständnis russischer Misserfolge ist der Kampf um den ukrainischen Himmel zu betrachten. In den ersten Stunden des Ukrainekrieges feuerte Russland ungefähr 200 Raketen auf verschiedene Militäranlagen, Flughäfen etc. in der Ukraine in der Hoffnung, große Teile der ukrainischen Luftwaffe und Luftabwehrsysteme zerstört zu haben. Dementsprechend verkündete der Kreml auch am ersten Tag noch, die Lufthoheit über das Land errungen zu haben. Die Realität sah aber beträchtlich anders aus: Während die Ukraine weiterhin regelmäßige Einsätze ihrer Kampfjets und Hubschrauber flog und noch fliegt, muss Russland erhebliche Verluste in ihrem Luftarsenal erleiden. Samstag markierte bisher den absoluten Tiefpunkt, Innerhalb von 24 Stunden konnten fünf Kampfjets, vier Hubschrauber und eine Kampfdrohne abgeschossen werden. Sonntag ist der Abschuss eines weiteren Kampfjets bestätigt. Unter den Abschüssen befinden sich auch hochmoderne Systeme wie die Su-30SM oder Su-34. Insgesamt wurden bisher 22 Flugsysteme eliminiert, besonders schwer für Russland ist dabei der Verlust an erfahrenen Piloten, ein großer Teil der Luftwaffe wurde extra für die Ukraine von Syrien abgezogen.

Auf dem Boden sieht die Situation in ihrer Tendenz ähnlich aus. In den letzten zwei Tagen konnten russische Truppen keine neuen relevanten Gebiete erobern, in der Umgebung der Städte Sumy, Kiew und Charkiw konnte die ukrainische Armee sogar mehrere, teilweise erfolgreiche Gegenoffensiven starten. Russische Verluste türmen sich immer weiter, visuell bestätigt musste Russland innerhalb von zehn Tagen mindestens 845 Kriegsgeräte aufgeben, davon wurde ein großer Teil von ukrainischen Soldaten und Milizionären erbeutet, welche vergleichsweise „nur“ 250 Fahrzeuge und Ähnliches verloren haben.

Die Anzahl der getöteten Kämpfer ist schwer zu schätzen, die Ukraine spricht selber von über 11.000 neutralisierten russischen Soldaten, während Russland selber vor mehreren Tagen von 500 Toten sprach. Beide Zahlen sind jedoch absolut unglaubwürdig, am wahrscheinlichsten noch sind die Schätzungen westlicher Geheimdienste, die USA sprach zuletzt von 4.500 ermordeten Soldaten. Wenn man hier das übliche Verhältnis von Toten und Verletzten einfügt, würden als etwa 10% der eingesetzten Streitkräfte Russlands kampfunfähig sein. Dies lässt sich aber nicht bestätigen, kurzum sind die Verluste aber hoch für die kurze Zeit.

Der Vorstoß allgemein erlahmt immens, vor allem da Russland kaum ihre immer länger werdenden Nachschubrouten im feindlichen Land sichert. Ständige Überfälle im Hinterland und Blockaden behindern einen ausreichenden Logistiktransport, auch da die Ukraine wahrscheinlich gezielt diese Versorgung attackiert. In letzter Zeit wurden Aufnahmen veröffentlicht, die wenn bestätigt, die desaströse Lage für die russischen Streitkräfte offenbaren. Bereits mehrfach wurden in der Ukraine Nachschubfahrzeuge gesichtet, die in erster Linie aus zivilen Autos, alten Ladas, Bussen, Sprintern und Baufahrzeugen bestehen. Auch innerhalb Russlands ergibt sich dieses Bild, wo Züge diese Fahrzeuge durch das Land in Richtung der Ukraine transportieren, dazwischen ebenfalls reguläres Militärequipment. Allesamt rangt auf ihnen das Z-Symbol empor, welches sich zum neuesten Nationalsymbol für Russland entwickelt hat und ursprünglich einen Teil der russischen Armee vor der ukrainischen Grenze markierte.

Dazu passend fanden ukrainische Einheiten bei einigem erbeutetem Kriegsgerät des Feindes Dokumente, die das geplante Ausmaß der russischen Invasion darstellen sollen: Demnach wurden die ersten Pläne Mitte Januar aufgestellt und beinhalteten die Hoffnung, die gesamte Ukraine innerhalb von 15 Tagen erobern zu können. Dies würde auch die logistische Lage erklären, vor allem da die russischen Einheiten vor den ukrainischen Grenze lange Zeit davon ausgingen, dass es sich lediglich um einige Militärmanöver handelt und dementsprechend auch schlecht vorbereitet waren auf das, was am 24. Februar begann. Der ursprünglich geplante, rasche Erfolg in der Ukraine fußt auch auf dem russischen Narrativ, wonach das „Brudervolk“ die eigenen Truppen mit offenen Armen willkommen heißen würde und man gemeinsam gegen das „faschistische Regime“ in Kiew kämpfen würde. Diese Darstellung stellte und stellt sich aber als enormer Irrtum heraus.

Denn in den von Russland eroberten Regionen kehrt kein Frieden vom Krieg ein, die enormen Unruhen zeigen eher das Gegenteil. Insbesondere die Einwohner der größeren Städte zeigen ihre Solidarität mit der Ukraine, fordern einen Abzug der russischen Truppen und die Rückkehr der legitimen ukrainischen Regierung. Dabei gibt es verschiedene Wege des zivilen Ungehorsams, neben regulären Kundgebungen auf den zentralen Plätzen der Stadt gibt es auch viele Blockaden, um russische Militärkonvois zum Umdrehen zu bewegen. Gewaltsame Handlungen von Seiten der Ukrainer sind bisher noch nicht bekannt, auch die russischen Nationalgardisten hielten sich bisher größtenteils zurück, antworteten teilweise mit dem Einsatz von Tränengas und Warnschüssen um Demonstrationen aufzulösen, wobei am Samstag mehrere Personen schwer verletzt wurden. Ob Kherson, Melitopol, Berdjansk, Belokurakino, Nowa Kachowka, Chonhar oder anderen Orten, alle größeren Städte erleben tagtäglich pro-ukrainische Proteste, die teilweise bis zu Zehntausenden Demonstranten heranwachsen.

Allesamt vereint sie die Ablehnung der russischen Besetzung, obwohl sie teilweise unweit der russischen Grenze liegen und dementsprechend enge Beziehungen und Kontakte zur russischen Seite existieren, vor allem familiär und kulturell. Bei diesen Protesten ist es nur schwer vollstellbar, wie Russland noch größere Teile der Ukraine kontrollieren will lang- und mittelfristig, vor allem da Putin dem Land jegliches Existenzrecht absprach bei seiner Anerkennungsrede der Donbass-Volksrepubliken. Ebenso unvorstellbar ist der Gedanke, wie sich die Situation in den Städten verändern würde, wenn es zunehmend zu Gewalt zwischen den verfeindeten Parteien kommen würde, inklusive der Selbstbewaffnung auf ukrainischer Seite. Insbesondere in Anbetracht dessen, dass Russland bisher in den von ihnen eroberten Gebieten kaum administrative Institutionen übernommen hat, geschweige denn Sicherheitsaufgaben.

Auch angesichts der innen- und außenpolitischen Entwicklungen der letzten Tage gibt es wenig Raum für einen russischen Optimismus. Die Unterstützung für die ukrainische Regierung ist massiv, während zwar auch viele Länder neutral agieren, kann Russland nur noch Staaten wie Eritrea, Syrien oder Belarus als aktive Verbündeten in ihrem Angriffskrieg nennen. Sogar Kasachstan kritisierte die Invasion, in den größeren Städten des Landes kam es zu pro-ukrainischen Protesten. Sogar in Belarus gibt es fernab der politischen Führung scharfe Kritik an dem Unterfangen, das weißrussische Militär soll einigen Gerüchten zufolge sogar den Einsatz eigener Truppen in der Ukraine blockiert haben. Dem gegenüber steht die Ukraine, welche insbesondere vom Westen massiv wirtschaftlich und militärisch unterstützt wird, sogar neutrale(re) Länder wie Schweden oder die Schweiz nehmen eine klar pro-ukrainische Haltung ein. Der Ukraine zufolge erklärten sich über 16.000 internationale Kämpfer dazu bereit, sich dem Krieg gegen Russland anzuschließen.

Innenpolitisch sind seit den ersten Tagen Friedenskundgebungen in ganz Russland aufgetaucht, welche aber brutal niedergeschlagen werden. Über 10.000 Personen wurden bisher in diesem Zusammenhang festgenommen, bei den größten Städten wie Moskau oder St. Petersburg wurden die zentralen Plätze gestern abgeriegelt. Die Sanktionen wirken sich bereits jetzt schon auf die gesamte Bevölkerung aus, der Rubel verliert an Wert während Importe immer teurer werden. Teilweise kam es schon zu Arbeitsniederlegungen deswegen. Russland isoliert sich zunehmend, sowohl in Folge der Wirtschaftsrestriktionen, als auch als „sicherheitspolitische“ Maßnahme, weshalb in den letzten Tagen der Zugang zu Facebook, YouTube, Twitter und TikTok blockiert wurde. Zudem wurde es unter Strafe gestellt, „falsche Behauptungen“ über den Krieg (welcher in Russland nur als Spezialoperation genannt werden darf) zu verbreiten. Was am Ende dieser autoritären Politik die russische Bevölkerung erwartet, ist noch ungewiss.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 200.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.

Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.

Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.

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