
Der Krieg geht in der Ukraine unvermindert weiter. Nach einer erfolglosen Nacht für Russland scheint der Angriffskrieg auf einige Probleme zu stoßen: Während die ukrainischen Bevölkerung und Armee weiterhin erheblichen Widerstand leisten, gibt es logistische und materielle Probleme, die Verluste und die fehlende Lufthoheit führen innerhalb Russlands zu einer immer größer werdenden Kritik, während man zunehmend die Initiative verliert und die Ukraine langsam internationale Unterstützung erhält. Dies führt unweigerlich zum nächsten Kapitel des Krieges, bei dem immer weniger Rücksicht auf die Bevölkerung genommen wird. Bereits innerhalb der ersten drei Tage ist bemerkbar, dass die russischen Angriffe auf zivile Ziele zunehmen, am Freitag wurden zwei Krankenhäuser und ein Kindergarten angegriffen, mindestens sechs Personen starben dabei. Mit dem erbitterten und wohl auch unerwarteten Widerstand in Kiew scheint Russland auch dort immer brutalere Mittel einzusetzen. Jedoch ist der Ausgang des Krieges weiterhin völlig unvorhersehbar.
Bereits seit Tag Eins der Invasion gab es vereinzelte Angriffe auf Wohnhäuser in der Ukraine zu vermelden, viele davon befanden und befinden sich weiterhin in den urbanen Kampfzentren wie Kiew oder Kharkiw. Inzwischen wurden über 20 Zivilisten in der Ukraine getötet, so schätzt zumindest das Gesundheitsministerium die Zahlen. Die Dunkelziffer wird wahrscheinlich wesentlich höher liegen und mit dem Verlaufe des Krieges nur weiter zunehmen, vor allem da Russland sich bisher weitgehend mit Angriffen auf zivile Gebiete zurückhält und nur einen Teil ihres schweren Kriegsgerätes einsetzt. Nichtsdestotrotz gibt es innerhalb der ersten drei Tage bereits erste Angriffe auf ein Krankenhaus und einen Kindergarten zu melden, die teilweise in den Tod mehrerer Zivilisten mündete.
In der Stadt Ochtyrka im Nordwesten des Landes, unweit der schwer umkämpften und ständig den Besitzer wechselnden Stadt Sumy, kam es letzten Freitag zu einem Angriff auf den Kindergarten „Solnychko (Sonne)“ durch einen russischen Luftschlag. Auf veröffentlichten Bildern ist zu sehen, wie mindestens zwei Personen vor dem Eingang getötet wurden, die Situation innerhalb des Gebäudes ist unklar, auch wenn der Kindergarten beschädigt wurde. Im umkämpften Melitopol wurde das onkologische Zentrum des örtlichen Krankenhauses in Folge von Bodengefechten schwer beschädigt, ein ukrainischen Krankenhaus im Dorf Vuhledar in der Ostukraine wurde von russischer Streumunition bombardiert, wodurch vier Personen starben.
Die internationale Aufmerksamkeit ist aktuell auf Kiew gerichtet, wo die russische Armee bereits gestern an den nördlichen Vierteln von Kiew heranrücken konnte, aber die Stadt selber nicht betreten hatte. Präsident Zelensky warnte bereits in den letzten Abendstunden vor einer möglichen Großoffensive auf die Millionenstadt selber, welche jedoch größtenteils ausblieb. Einige russischen Fahrzeuge wurden am nördlichen Rand der Stadt und bei der Metrostation „Bereisteyskaya“ zerstört, jedoch soll es sich dabei größtenteils eher um Aufklärer gehandelt haben. Mehrmals gab es außerdem die Meldung, nach dem Erfolg und der Luftlandung auf den Gostomel-Flughafen im Nordwesten von Kiew es ebenfalls eine zweite russische Landung auf den Militärflughafen von Vasylkiv geben würde, südlich der Hauptstadt. Russische Fallschirmjäger sollen mehrfach versucht haben dort zu landen, dem ukrainischen Verteidigungsministerium zufolge wurden dabei zwei Transportflugzeuge des Typs Il-76 zerstört. Diese Behauptungen wurde von den USA bestätigt, auch wenn weiterhin keine Beweise dafür existieren.
Das ukrainische Militär behauptet zudem, das Wasserkraftwerk direkt nördlich von Kiew wiedererobert zu haben, welches zudem als Brücke über den Dnepr fungiert und die Stadt von östlicher Seite angreifbar macht. Symbolischen Wert hat der gefilmte Einschlag einer Rakete in ein ukrainisches Hochhaus, wobei aber niemand verletzt wurde. Nun thront es über Kiew als Ermahnung an die kommenden Angriffe auf die Stadt. Unklar ist jedoch, wer tatsächlich dafür verantwortlich war. Die Ukraine behauptet dass es russische Marschflugkörper oder Raketen waren, während russischen Medien zufolge es eine ukrainische Luftabwehrrakete war, die unbeabsichtigt im Gebäude einschlug. Bisher sind beide Darstellungen möglich.
Derweil rüstet das ukrainische Militär personell und materiell erheblich auf, die NATO haben Unterstützung in Form von Waffen- und Munitionslieferungen angekündigt, die ersten polnischen Nachschubkonvois erreichten bereits gestern die ukrainische Grenze. Zudem kommt es neben der Generalmobilisierung zum Verteilen von Waffen und Munition an ukrainische Bürger, alle die bewaffnet werden wollen, werden auch ausgerüstet. Insgesamt sollen dadurch 18.000 Schusswaffen verteilt worden sein, ein Großteil davon höchstwahrscheinlich in Kiew. Viele Einwohner bereiten außerdem Molotow-Cocktails vor, nachdem die Zubereitung dafür im ukrainischen Fernsehen lief. Stahlarbeiter stellen provisorische Tschechenigel vor, insgesamt läuft die Verteidigung auf Hochtouren.
Dabei ist es wohl auch nicht verwunderlich, dass es bereits zu mehreren Irrtümern, falschen Identifikationen und Scharmützeln mit diesen „Volksmilizen“ gekommen sein soll. Ein fördernder Faktor ist dabei, dass Russland seit Anfang an Infiltratoren und Spezialeinheiten nach Kiew und der Ukraine allgemein schickt, die als Kollaborateure fungieren und sich wie Zivilisten verkleiden. Dementsprechend gab es z.B. vergangene Nacht ein Kampf zwischen ukrainischen Bürgern und vermeintlichen russischen Saboteuren, während pro-russische Medien von einem Kampf zwischen zwei verwirrten Verbänden dieser Volksmilizen sprachen. Am Tag davor gab es ein ähnliches Ereignis, wo das ukrainische Militär ein Militärfahrzeug mit russischen Soldaten, die ukrainische Uniformen trugen, angegriffen und alle Insassen erschossen. Derartige Ereignisse gibt und gab es mehrmals, vor wenigen Stunden z.B. in Nikopol, allesamt sind diese Angaben schwer zu verifizieren.
Für Verwirrung sorgen auch Meldungen der letzten Nacht von russischen Landungsversuchen am Schwarzen und dem Asow’schen Meer. Demnach hatten russische Soldaten versucht, sowohl die Hafenstadt Odessa im Südwesten des Landes, als auch nahe der Frontstadt Mariupol zu landen, die mit ihren 400.000 Einwohnern seit Anbeginn der Invasion schwersten Angriffen durch Russland und den separatistischen Volksrepubliken ausgesetzt ist. In den beiden Orten gab es über die Nacht Berichte von Schüssen und dem Einsatz von Luftabwehr, jedoch scheinen die russischen Landungen nicht das Ziel der Eroberungen sondern vielmehr der Infiltration zu haben, oder sie waren erfolglos und nur ein Ablenkungsmanöver um feindliche Kräfte zu binden.
Es ist nicht das erste Mal, dass es Berichte von amphibischen Truppenlandungen gibt, auch diesmal scheinen sie sich nicht bewahrheitet zu haben. Auf dem Land hingegen konnte Russland die erste größere Stadt jedoch in dem Gebiet erobert, die 150.000 Einwohner zählende Bezirkshauptstadt Melitopol war nach rund eintägigem Gefechte zwischen lokalen Kräften und der russischen Armee erobert, möglicherweise hält die Ukraine noch einige Außenbezirke. Bereits am Freitag Morgen versuchten russische Einheiten die Stadt zu sichern, wurden jedoch im Zentrum angegriffen und mussten sich zurückziehen. Wesentliche Erfolge vorweisen kann Russland einzig in der Donbass-Region, wo man zusammen mit pro-russischen Kräften der Volksrepubliken an einigen Frontabschnitten durchstoßen und einige Dörfer erobern konnte. Ansonsten, so behaupten zumindest die ukrainischen Streitkräfte, wurde keine einzige Stadt von Russland erobert.
Das entspricht immerhin dem gegenwärtigen Trend, der immer mehr Probleme für die vorstoßende russische Armee offenbart. Vereinzelt scheint es den Fahrzeugen an Treibstoff oder Munition zu mangeln, bereits vor dem Krieg gab es Berichte von hungernden oder unzureichend versorgten Soldaten entlang der russisch-ukrainischen Grenze. Im Dorf Veselaya Lopan beispielsweise mussten Soldaten eine Woche lang zusammengepfercht im Bahnhof übernachten und ihre Nahrungsversorgung selber kaufen. Für Verwirrung sorgen auch die inzwischen im zweistelligen Bereich befindliche Anzahl an gefangen genommenen Soldaten der russischen Armee. Ein Großteil von ihnen ist um die 20 Jahre alt und können kaum bis keine Kampferfahrung vorweisen. Zudem machen sich Tausende tschetschenische Kämpfer auf dem Weg zur Ukraine, international sind sie für ihre islamistische Gesinnung und dem Raub und Mord an Zivilisten bekannt. Auch behaupten die Gefangenen, dass sie dachten, Ukraine hätte zuerst angegriffen oder sie wären auf dem Weg nach Donezk. All diese Angaben sind mit Vorsicht zu genießen, es wirft aber einige Fragen über die russische Taktik auf.

Dass die Situation in der Ukraine im Monat Februar erneut eskalieren würde, war bereits früh abzusehen. In den Monaten zuvor verlegte Russland einen Großteil seiner mobilen Streitkräfte an die ukrainisch-russische Grenze. Dies wurde mit den alljährlichen Trainingsmanövern begründet, jedoch war diese Entwicklung äußerst ungewöhnlich: Übungen werden normalerweise mit den vorhandenen Truppen innerhalb der insgesamt fünf Militärbezirke durchgeführt, in diesem Falle wurden jedoch russische Soldaten aus dem ganzen Land zusammengezogen, vor allem auch aus Sibirien. Mindestens 190.000 Soldaten sind daran laut dem OSZE beteiligt, darunter auch einige Einheiten der Nationalgarde wie tschetschenische Gruppierungen rund um den Verbündeten Ramsan Kadyrow. Zudem wurden die Truppenverlegungen auf Belarus und die Krim erweitert, wo sie in behelfsmäßig errichteten Militärquartiere unweit der Ukraine stationiert wurden, wie Satellitenbilder beweisen.
Das russische Verteidigungsministerium berichtete zwar, das nach dem Ende der Truppenübungen die involvierten Streitkräfte wieder abgezogen und zu ihren Heimatbasen zurückkehren sollte. In Wirklichkeit geschah jedoch das Gegenteil: Ununterbrochen wurden weitere Truppenverbände in die Nähe der Ukraine gebracht, zudem wurden zwar die für die „Übungen“ errichteten Militärbasen teilweise verlassen, Militärverbände stattdessen aber nur näher an die Grenze transportiert. Insbesondere in der Region um Belgorod und Kursk gab es erhebliche Truppenbewegungen zu verzeichnen. Dieses Szenario ähnelt dem Georgienkrieg im Jahre 2008, wo fünf Tage vor Anbeginn des Konfliktes Russland ebenfalls verkündete, in Folge eines abgeschlossenen Trainings ihre Soldaten abziehen zu wollen.
Im Donbass folgten daraufhin eine Reihe von False-Flag-Aktionen durch die Volksrepubliken, die bei der russischen und lokalen Bevölkerung die Motivation für weitere Eskalationen und den Krieg heben sollten. Diese wurden auch entsprechend dankbar von medialen Narrativen übernommen, obwohl darunter sehr offensichtliche Inszenierungen waren: Über die polnischen Spezialeinheiten die ein Ammoniaklager sprengen wollten, über Videobeweise die bereits zehn Tage vor der Tat aufgenommen wurden, ukrainische Selbstmordattentäter im Zentrum von Donezk oder ukrainische Einheiten, die problemlos separatistische Gebiete durchqueren konnten, nur um dann russisches Territorium zu betreten und dort getötet zu werden geht die Liste lang. Auch hier gilt wie in jedem Krieg: Die Wahrheit stirbt zuerst.