Im Designer-Anzug zur Front

Unter dem Radar der internationalen Aufmerksamkeit dauert der Konflikt zwischen der äthiopischen Zentralregierung auf der Einen und den Tigray-Verteidigungskräften (TDF) und der Oromo-Befreiungsfront (OLF) auf der anderen Seite weiterhin brutal an. Militärisch gab es in den letzten Wochen wenige neue Entwicklungen, die separatistische Allianz rückt weiterhin nahezu ungehindert auf die Hauptstadt Addis Abeba zu, während die Regierung zunehmend paranoider agiert. Was wahlweise als heroischer Akt oder als verzweifelte letzte Maßnahme zur Moralstärkung gesehen werden kann, porträtierte sich der äthiopische Präsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed in militärisch-maßgeschneiderter Ausrüstung und Radio als weiser Feldherr unweit der Stadt Kassagata in der Region Afar. Darin betonte er die hohe Bereitschaft und gute Moral der Armee, sprach jedoch auch von einer ausländischen Verschwörung gegen seine „pan-afrikanischen Ziele“ und den Staat. Unabhängigen Medien wurde es verboten, über den Krieg im Land zu berichten, was die Situation noch undurchschaubarer macht.

Es wirkte zunächst wie eine Hiobsbotschaft als Präsident Abiy verkündete, an die Front gehen zu wollen, um die vorrückenden Verbände der Tigray zu stoppen. Seine militärische Erfahrung ist insbesondere auf der Führungsebene nicht existent, war jedoch als Militärfunker am Äthiopisch-Eritreischen Krieg von 1998 beteiligt. Vielmehr aber geht es hierbei aber um eine gelungene Inszenierung als Staatsmann und Anführer, wie die staatlichen Medien ihn darstellten. Dort ist er auch mit Sonnenbrille und einer Menschentraube zu sehen, wie er Befehle erteilt. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er sich zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich an den Frontlinien war, zu wichtig ist seine Existenz als Präsident, die das letzte moralische Bollwerk gegen die immer näher kommenden Separatisten bildet.

Bemerkenswert dabei ist der immer stärker werdende Narrativ einer ausländischen Verschwörung als Erklärungsversuch für die seit einem halben Jahr andauernde „Niederlage“ im gegenwärtigen Konflikt. Demnach versucht insbesondere die USA, das „Einigungsprojekt Äthiopien“ zu sabotieren und droht dementsprechend mit der Verhängung von Sanktionen. Auch andere Länder wie Großbritannien, Frankreich oder Russland sind das Ziel dieser Vorwürfe, auch wenn dafür keinerlei Beweise existieren. Ohnehin gibt es keine Belege für eine internationale Unterstützung der TDF, die unter anderem angeblich massiv ausländische Kämpfer rekrutieren. Selbst von Ägypten nicht, welches noch von einem Jahr am Abgrund eines Krieges mit Äthiopien über die Verteilung des Nil-Wassers stand. Im Gegenzug dazu sind Waffenlieferungen zur Regierung über eine Luftbrücke von der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten hinlänglich belegt, unter anderem durch den Einsatz neuer türkischer Drohnen wie der Bayraktar-2, die bereits in Libyen oder Armenien erheblichen Schaden anrichtete.

Seit der Eroberung der Großstadt Dessie können die Tigray-Streitkräfte zusammen mit der Oromo-Befreiungsfront einige Erfolge und Rückschläge verzeichnen. Der Vorstoß in Richtung der Hauptstadt scheint ungehindert voranzugehen. Während einige Menschen seit dem Verlust von Dessie nur noch von wenigen Tagen sprachen, bis die TDF die Addis Abeba erobern würde, befinden sie sich weiterhin rund 200 Kilometer vom geplanten Ziel entfernt. Dabei diversifizieren sie ihre offensiven Vorstöße, nicht nur entlang der A2-Hochstraße wird Boden gut gemacht, sondern auch auf alternativen Routen, unter anderem bei der A3 und B23. Mit eroberten Orten wie Akesta, Jama oder Degolo konnten damit die Frontlinien verbreitert und der Kampf in das Hinterland getragen werden. Sollte man sich weiter mit den bereits existierenden OLF-Kräften rundum Addis Abeba vereinen, könnte ein großer Belagerungsring über die nördliche Hälfte der Stadt entstehen.

Weniger erfolgreich sieht die Situation hingegen anderswo aus. In der nordöstlichen Region Afar haben sie seit jeher erhebliche Probleme, gegen die lokal verwurzelten Milizen und Sicherheitskräfte Boden gut zu machen, einzig die Stadt Chifra konnten sie vorübergehend für einige Tage halten, aber bereits am letzten Samstag wieder aufgeben. Dabei verlor die TDF vier Kampfpanzer, der erste bestätigte Verlust von Fahrzeugen seit langer Zeit. Die Region ist dahingehend von Bedeutung, dass über Afar und die A1-Autobahn die wichtigste Verbindung zur Außenwelt besteht, namentlich die Häfen von Dschibuti. Über sie verlaufen ein enorm großer Teil der Landesimporte, entsprechend verheerend wäre also der Verlust ebendiesen Zugangs. Bisher aber scheint diese Bedrohung weit weg zu sein, bisher scheint Tigray aber wenig Ressourcen in einen möglichen Vorstoß in östlicher Richtung zu stecken.

Situation nördlich der Hauptstadt Addis Abeba. Blau zeigt die Oromo-Befreiungsfront, Rot die Tigray-Verteidigungskräfte und Lila das zwischen den zwei Fraktionen kontrollierte Gebiet

Ursprünglich sollte der Tigray-Konflikt Premierminister Abiy zufolge nur drei Wochen andauern und ein Ende der rebellischen Provinz an der nördlichen Grenze bedeuten. Stattdessen sieht sich Äthiopien seit über einem Jahr mit einem Krieg konfrontiert, an denen immer mehr Kräfte und Länder beteiligt werden, ein Ende dieser Eskalationsspirale ist nicht in Sicht. Zu Beginn gab es Optimismus für die Regierung, nach einem Monat waren weite Teile der Tigray-Provinz unter föderaler Kontrolle, darunter sämtliche Autobahnen und größeren Städte wie die Provinzhauptstadt Mekelleh. Jedoch begann ab diesem Zeitpunkt die zweite und elementare Phase des Krieges erst: Der brutale Abnutzungskrieg der TDF, die im Hinterland und auf gebirgigen Terrain erfolgreich Guerillataktiken anwenden und mit der Unterstützung der lokalen Bevölkerung den Feind wieder vertreiben konnten.

Sieben Monate später wurde Mekelleh nahezu kampflos wiedererobert, wobei bis zu 4.000 Soldaten gefangen genommen wurden. Derweil schwappte der Konflikt in die Nachbarländer über, ungeklärte Grenzverläufe mit dem Sudan führten Ende 2020 zu Spannungen und Scharmützeln mit Verletzten auf beiden Seiten, während Eritrea bis heute Teile Tigrays besetzt hält und dort ethnische Säuberungen und Raub begangen haben sollen. Selbst somalische Kämpfer sollen involviert sein, jedoch ist dies nicht bestätigt. Die Türkei und Vereinigten Arabischen Emirate liefern neuerdings Waffen und Kampfdrohnen an die Zentralregierung, während sich andere Staaten bisher zurückhalten.

Äthiopien galt noch vor kurzem als Staat mit optimistischer Zukunftsperspektive, als stabiler internationaler Verbündeter inmitten einer von Armut und Hunger geschundenen Region der Welt, welches mit dem Tigray-Konflikt aber wohl ein jähes Ende fand. Rund 400.000 Menschen sind in Tigray auf internationale Hilfslieferungen angewiesen, Tausende von Zivilisten wurden getötet und 2,5 Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht, ein Großteil davon in Richtung Kenia und dem Sudan. Mit dem zunehmend autoritären Führungsstil von Abiy verschlechtert sich zudem auch die politische Situation in Äthiopien, neben der Einschränkung von Freiheiten führt dies zu verstärkten ethnischen Spaltungen und Konflikten innerhalb dieses Vielvölkerstaates.

Anlass des Konfliktes waren der Angriff der TDF auf mehrere Militärbasen entlang der äthiopisch-eritreischen Grenze, die wichtiges Militärequipment enthielten. Zuvor kam es immer wieder zu Spannungen zwischen der regionalen Tigray-Regierung und der Wohlstandspartei unter Premierminister Abiy. Unter anderem wollte die TPLF sich nicht der Parteienallianz unter Abiy anschließen, zudem führten sie landesunabhängige Entscheidungen durch, wie z.B. die Durchführung von Regionalwahlen, nachdem die Zentralregierung aufgrund der Corona-Pandemie sämtliche Wahlen vertagt hatten. Außerdem stellte die TPLF von 1991 bis 2018 nach dem Sturz der Derg-Diktatur eine autoritäre Regierung, welche erst nach schweren Protesten der Bevölkerung von Abiy und seinem politischen Bündnis abgelöst wurde.

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