
Einigkeit herrschte beim bilateralen Staatstreffen zwischen dem russischen Präsidenten Vladimir Putin und seinem türkischen Gegenpendanten Recep Erdogan vor, zumindest offiziell. Nur wenige Stunden später intensivierte die Luftwaffe Russlands ihre Bombardierungskampagne über der letzten, noch von islamistischen Kräften kontrollierten Provinz Idlib im Nordwesten Syriens und attackierte erstmals auch jene Gebiete im Nordosten, die im Zuge einer türkischen Militärkampagne von den Kurden erobert werden konnten und sich als wichtiges Rückzugsgebiet für Islamisten und Aufständische herausstellen. Trotz diverser Gerüchte im Zusammenhang mit dem russisch-türkischen Verhandlungen gibt es keine Anzeichen für ein Ende des seit Jahren bestehenden Status Quo, also auch nicht für eine Offensive der syrischen Armee auf Idlib.
Russische Luftschläge trafen eine zur Militärbasis umfunktionierte Schule im Süden der Region Afrin, welche ehemals unter kurdischer Kontrolle stand, aber in Folge einer türkischen Offensive von pro-türkischen Milizen beherrscht wird. Eine davon ist die Hamza-Division, welche von der Türkei selber aufgebaut und finanziert wird und inzwischen zu den wichtigsten Milizen der Region gehört. Bei den Luftschlag kamen demnach elf Kämpfer um, Dutzende Weitere wurden verletzt. Kurz darauf kam es zum ersten Luftangriff auf das oppositionell kontrollierte Ras al-Ayn im Nordosten des Landes, welches das gleiche Schicksal wie Afrin teilt. Dabei starb eine ähnliche Anzahl, vor allem aber war dies ein Novum in der türkisch-russischen Beziehung in Syrien, welche bisher ihre jeweiligen Einflussgebiete weitgehend in Ruhe ließen.
Parallel dazu geht die Bombardierung von Zielen in der Provinz Idlib unbeirrt weiter, zusammen mit syrischer Artillerie werden insbesondere unweit der Frontlinien gelegene Territorien inzwischen tagtäglich das Ziel von Attacken, ein Ende ist nicht in Sicht. Trotz dieser Intensivierung scheint eine bereits vielfach beschworene Militäroffensive zur finalen oder partiellen Eroberung von Idlib in weiter Ferne, insofern sich Russland und die Türkei bei Hinterzimmergesprächen nicht auf neue, etwaige Pläne geändert haben. Da der Status Quo aber seit Jahren Bestand hat, ist hier eine Änderung eher unwahrscheinlich.
Über die potentiellen Ziele einer möglichen Militäroperation lässt sich nur mutmaßen und hängt vor allem von der Türkei ab, die inzwischen mit etlichen Militärbasen und tausenden Truppen in Idlib präsent ist. Dementsprechend reichen die Ambitionen von einer vollständigen Wiedereroberung der Provinz bis hin zur Eroberung der M4-Autobahn, welche die Städte Latakia und Aleppo miteinander verbindet und dabei quer durch Idlib verläuft. Dabei kontrolliert das syrische Militär bereits ein Großteil der M4, lediglich der Abschnitt in Süd-Idlib liegt im feindlichen Territorium und etwa zehn Kilometer von den Armeestellungen entfernt. Dies setzt jedoch voraus, dass es in Wirklichkeit zu einer Militäroffensive kommt. Die vergangenen Monate und Jahre zeugen jedoch von Pessimismus diesbezüglich, da der kurze Ausbruch von Gewalt in Idlib vor allem eines war – kurz.
Diese Spannungen sind wohl Ausdruck der weiterhin existierenden Unklarheiten bezüglich der Situation in der letzten, noch von Islamisten gehaltenen Provinz Idlib. Während die syrische Regierung und Russland zunehmend darauf setzen, die letzten Oppositionsgebiete zu erobern und immer wieder ihre Positionen entlang der Frontlinien verstärken, ist die Türkei inzwischen mit einem riesigen Truppenaufgebot in Idlib aktiv, inklusive Luftabwehrsystemen und etlichen Kampfpanzern. Zudem wurden die gemeinsamen Patrouillen entlang der „demilitarisierten Zone“ in Idlib erst vor kurzem angegriffen, was einen langfristigen Zweck dieser Mitarbeit in Frage stellt, auch da die Türkei keine Schritte zur Bekämpfung der islamistischen Fraktionen unternimmt, die genau derartige Angriffe durchführen. Außerdem konkurrieren die Länder auch in anderen Konfliktherden (Libyen und der Kaukasus) zunehmend gegeneinander.