
Entgegen dem allgemeinen Trend des syrischen Konfliktes kam es innerhalb der letzten Jahre kaum zu nennenswerten neuen oder reformierten Bündnisankündigungen innerhalb der syrischen Opposition, die äußerst selten geeint auftritt. Diese Entwicklung scheint nun vorerst gestoppt zu sein: In der von türkischen Streitkräften kontrollierten Territorien Nordsyriens erklärten mehrere Milizen den Zusammenschluss zur sogenannten „Syrischen Befreiungsfront“ (SLF), welche in der Namensform bereits zweimal in Syrien existierte. Das neue Bündnis ist paradoxerweise vor allem Ausdruck von Spannungen innerhalb pro-türkischer Kräfte, die offiziell unter der „Syrischen Nationalarmee“ (SNA) organisiert sind und der Türkei direkt unterstehen, die meiste Zeit aber mit oppositionsinternen Gefechten beschädigt sind. Darin liegt auch die Gefahr für die Türkei, die insbesondere islamistische Kräfte ausnutzen könnten.
Insgesamt fünf relevante Fraktionen erklärten sich als Gründungsmitglieder der SLF: Die al-Hamza-Division, Mutassim-Division, Sultan Suleihman, Shah-Division, Suqur al-Shamal und die 20. Division. Einige davon sind namhafte, von der Türkei ursprünglich aufgebaute Gruppen, beispielsweise die al-Hamza-Division. Sie fungierte seit Anbeginn der türkischen Intervention in Syrien als federführende Stellvertretergruppe und deren Kämpfer wurden teilweise in Libyen und Bergkarabach zur Durchsetzung türkischer Interessen eingesetzt, zudem zählen sie zu den wichtigsten Fraktionen innerhalb der Syrischen Nationalarmee, welche entgegen ihres Namens ein loses Milizenbündnis darstellt. Das selbe Schicksal wird wohl die Befreiungsfront erleben, obwohl laut dem Verkündungsvertrag die bisherigen Gruppierungsnamen und -strukturen fallen lassen. Faktisch jedoch bleibt es beim Status Quo.
Anlass war für die laut eigenen Angaben 15.000 Kämpfer zählende Gruppe oppositionsinterne Gefechte zwischen verschiedenen Milizen im Kampf um Macht und Einfluss in ihrem kleinen Gebiet. In der Stadt Azaz kommt es beispielsweise zu Gefechten und Attentaten zwischen der Hamza-Division und Sultan Murad. Mit der Gründung der SLF wurden diese internen Brüche damit offiziell offengelegt. Dies ist natürlich entsprechend wenig im Interesse der Türkei, während gerade äußere Akteure davon profitieren könnten. In erster Linie die innerhalb der syrischen Rebellen dominante Fraktion Tahrir al-Sham (HTS), welche bereits seit Monaten versucht ihr Einflussgebiet von der Provinz Idlib nach Nordsyrien auszuweiten.
Vor einem halben Monat gründete sich deswegen in den Gebieten von Azaz und Afrin eine neue Gruppierung: Jaish al-Qaqa unter ihrem Anführer Abu Mutasim Bi-Allah Zabadani. Die Region wird seit der türkischen Militärintervention gegen den Islamischen Staat und der kurdischen Autonomieadministration von der sogenannten SNA kontrolliert. Nun versucht HTS ihren Einfluss ebenfalls dorthin auszuweiten, wie geheime Sprachnachrichten von Abu Zabadani offenbaren. Demnach ist Jaish al-Qaqa eine von HTS erstellte Stellvertreterorganisation, die auf indirektem Wege den Einfluss der Dschihadisten in der Region sichern soll. Ihr Anführer Zabadani selber stammt ursprünglich aus dem Großraum von Damaskus und war bereits in den Anfangsjahren von Tahrir al-Sham (damals noch Jabhat al-Nusra) als Kämpfer aktiv. Vor dem Krieg wurde er 2006 festgenommen, nachdem er einen Christen getötet hatte.
Bisher soll Jaish al-Qaqa nur wenige hundert Mitglieder zählen, jedoch ist eine positive Entwicklung erwartbar. In den letzten Monaten gibt es Unmut in den Reihen der Syrischen Nationalarmee, nachdem die Türkei bzw. die Fraktion selber bei vielen Mitgliedern Lohnzahlungen aussetzten. Viele der SNA-Kämpfer sind nur aufgrund der (für syrische Verhältnisse) üppigen Bezahlung aktiv, weshalb Hunderte und Tausende als Söldner von der Türkei in Libyen oder Aserbaidschan eingesetzt wurden. Ohne diesen Anreiz könnten viele zu Jaish al-Qaqa wechseln, welche wirtschaftlich gut aufgestellt sind, da Tahrir al-Sham den gesamten Warenverkehr in Idlib kontrollieren und auch bestehende Schmuggelringe in die Türkei und zu Restsyrien existieren. Nun folgt die immer offensichtlich werdende Instabilität innerhalb der Nationalarmee als weiterer Faktor.
Ohnehin gilt das von der Türkei verwaltete Gebiete um Jarablus und al-Bab als ein Hort der Korruption und Plänkeleien zwischen den verschiedenen Gruppierungen. Ahrar al-Sharqiyah gehört zu den dschihadistischen Organisationen innerhalb des türkischen Machtgebietes und sind innerhalb der Eroberung Afrins durch die Zerstörung eines Spirituosengeschäfts (da Alkohol im Islam verboten) oder dem Singen von islamistischen Liedern (Nasheeds) ins Rampenlicht getreten. Nach der vollständigen Kontrolle über Afrin folgten ständige Scharmützel mit anderen Organisationen, Entführung vermeintlich „unislamischer Personen“ und teilweise sogar Enthauptungen.
Dieser Vorfall ist nur eines der vielen Beispiele in Nordsyrien, wie die Herrschaft der ineinander verfeindeten und verschiedene Ziele verfolgenden Opposition aussieht, besonders islamistische Kräfte verursachen derartige Eskalationen. Besonders die Einwohner in Afrin und Nord-Syrien leiden darunter, zuvor konnten sie in relativer Stabilität und Freiheit unter der Kontrolle der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) bzw. Syrischen Demokratischen Kräfte leben.