Selbstmordattentäter oder Familientreffen?

Trotz des internationalen Truppenabzuges sind die USA weiterhin in Afghanistan als militärische Kraft fest verankert, denn sie besitzen mit ihren einstigen Feinden, den Taliban, eine neuen gemeinsamen Gegner: Im Zuge des neu entstandenen Machtvakuums sieht der Islamische Staat in dem seit Jahrzehnten vom Krieg geschundenen Land die perfekte Basis für den Aufbau eines neuen regionalen Ablegers, auch als „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISKP) bekannt. Denn die Terrormiliz sucht die Konfrontation mit dem Westen und den Taliban, die sie beide als Rivalen betrachten und deswegen regelmäßig Anschläge durchführen und planen. Nun soll die USA am vergangenen Sonntag einen versuchten Selbstmordanschlag – mit mutmaßlichen Informationen der Taliban – mit einem Luftschlag vereitelt haben. Wenige Tage später gibt es jedoch erhebliche Zweifel an dieser Darstellung, denn unter den Toten soll eine einzige Familie gewesen, darunter sieben Kinder.

Den USA zufolge konnte ein Drohnenangriff auf zwei Autos in der afghanischen Hauptstadt Kabul mehrere Selbstmordattentäter ausschalten, welche sich auf dem Weg zum Kabuler Flughafen begeben haben, wo zu diesem Zeitpunkt der Truppenabzug und die überhastete Evakuation in ihren letzten Zügen lag und damit schlimmeres verhindern konnte. Ziel sollen dabei zwei Anhänger des Islamischen Staates gewesen sein, die sich zu diesem Zeitpunkt in einem Wohnviertel unweit des Flughafens aufhielten. Es wäre wenig überraschend, sollte das US-Militär über die Taliban darüber informiert worden sein. Denn bereits beim ersten Anschlag auf den Flughafen haben die Taliban Geheimdienstinformationen an westliche Nationen weitergeleitet, wodurch insbesondere Frankreich und die USA vor potentiellen Angriffen gewarnt haben. Die Taliban und die USA verfügen weiterhin über ein komplexes Informationsnetzwerk im Land.

Doch nun gibt es erhebliche Zweifel an der offiziellen Darstellung des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Afghanische Behörden und Anwohner berichten stattdessen, dass bei dem Angriff lediglich zehn Zivilisten getötet wurden, allesamt von der Familie Ahmadi. Darunter befinden sich ebenfalls sieben Kinder, die Meisten starben im angegriffenen Auto oder im Nachbarhaus, welches den Ahmadi gehörte. Neben den minderjährigen Personen soll auch ein ehemaliger afghanischer Soldat und eine örtliche Hilfskraft verstorben sein, die auf eine Evakuierung wartete. Das US-Militär widerspricht und behauptet hingegen, jegliche zivilen Verluste seien das Resultat von Sekundärexplosionen, sprich sie wurden erst durch die Detonation der Autobombe/Selbstmordattentäter getötet.

Der „Islamische Staat – Provinz Khorasan“ konnte seine Präsenz in dem vom jahrzehntelangen Krieg zerrüttenden Land immer weiter ausbauen und zählt inzwischen zu den mächtigsten Landesablegern der Terrormiliz. Neben einer (ehemaligen) Basis im Norden kontrolliert er weiterhin größere Gebiete im Osten des Landes, unweit der pakistanischen Grenze. Dort konnte er seit Jahren den Angriffen der afghanischen Armee und NATO widerstehen und seinen Machtbereich ausbauen. Die Taliban und der Islamische Staat sind seit jeher erbitterte Feinde im Kampf um religiöse Deutungshoheit und afghanischen Boden, Desertierende auf beiden Seiten führten teilweise zu einem Gleichgewicht der Macht in einigen Regionen. Inzwischen aber sind die Taliban die klar dominierende Kraft in Afghanistan und werden weiterhin das Ziel verfolgen den IS zu vernichten, wie sie es beispielsweise an gefangenen IS-Kämpfern nach der Eroberung der ehemaligen Regierungsgefängnisse zeigten.

Ein Gedanke zu „Selbstmordattentäter oder Familientreffen?“

  1. Der IS…gegen die Taliban, mag sein, dass die zwei Gruppierungen gegeneinander kämpfen, wird auch so berichtet, hat aber für uns keine große Bedeutung. Ein Afghane hat das mal so ausgedrückt bei CNN:

    „Ich kämpfe gegen meinen Bruder, mein Bruder und ich, wir kämpfen gegen unseren Nachbarn. Mein Bruder, ich und unser Nachbar, wir kämpfen gegen Euch“.

    Übersetzt bedeutet das: Der IS.., die Taliban.., und die islamische Welt, kämpfen gegen uns. Das ist für uns von Bedeutung. Ob die sich gegenseitig beharken, soll uns nicht interessieren.

    Auch der Begriff „Zivilisten“ stammt aus der westlichen Betrachtungsweise. Im Islam gibt es keine Zivilpersonen. Muslime werden insgesamt als Gotteskrieger betrachtet. Nicht jeder wendet Gewalt an. Andere, wie z. B. die Anhänger Fethullah Gülens, bevorzugen den asymmetrischen Krieg. Gülen sagt z.B.:

    „Ihr müsst Euch in den Arterien des Systems bewegen, bis ihr alle Machtzentren erreicht.“

    Er spricht seine Krieger an. Sie sollen sich harmlos verhalten, bis sie in den Machtzentren unserer Gesellschaft angekommen sind. Einige sind dort schon angekommen.

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