
„Deutsche Piraterie“: Türkische Medien titeln mit besonderer Polemik einen neuen Vorfall vor der libyschen Küste, welcher in der Türkei als Affront und Aggression von Seiten Deutschlands angesehen wird. In Wirklichkeit kam es nur im Zusammenhang zur EU-Operation „Irini“ zur Überwachung des Waffenembargos für die libyschen Kriegsfraktionen zu der Inspektion eines türkischen Frachters, welcher letztendlich nur normale Güter transportiert hatte. Die türkische Regierung sieht in Irini eine Bedrohung für die eigenen nationalen Interessen, da die Türkei der größte und wichtigste Unterstützer für die sogenannte „Einheitsregierung“ in Libyen ist, während weite Teile der EU und Irini-Unterstützer die rivalisierende Tobruk-Regierung in Ostlibyen unterstützen. Der Vorfall könnte nun dazu führen, dass auch Deutschland auf letztere Seite wechseln würde.
Der türkische Frachter „Rosaline-A“ wurde auf dem Weg nach Tripolis von einer deutschen Fregatte der Hamburg-Klasse und einem dazugehörigen NH-90-Helikopter gestoppt, nachdem Letzterer auf dem Schiff landete und man mit der Durchsuchung begann. Diese musste aber mittendrin gestoppt werden, nachdem das türkische Militär mit einem potentiellen Waffeneinsatz drohte. Innerhalb des kurzen Zeitraumes wurden aber keine illegalen Waren festgestellt werden, wie ein Pressesprecher mitteilte. Angeblich soll die Rosaline-A humanitäre Güter in die libysche Hauptstadt Tripolis transportieren. Die Folgen waren wesentlich größer, als der Vorfall selbst: Präsident Erdogan warf der deutschen Regierung einen „Akt der Piraterie“ vor. „Deutsche Piraterie“, hieß es in türkischen Medien, passend dazu wurde Kanzlerin Merkel als Piratenkapitänin dargestellt.
In den türkischen Stellungnahmen klingt das dann so: Ohne Erlaubnis aus Ankara oder vom Kapitän des Schiffes seien schwerbewaffnete deutsche Soldaten auf dem Schiff eingedrungen, hätten die Mannschaft misshandelt und 16 Stunden lang alles durchsucht, nur um festzustellen, dass das Schiff tatsächlich lediglich humanitäre Hilfsgüter geladen hatte, so wie es die Türkei von Anfang an mitgeteilt habe. Für zusätzliches Misstrauen in Ankara sorgte, dass der kommandierende Offizier in der Irini-Operationszentrale in Rom ein Grieche war, ergo das Ganze nichts als ein Revancheakt für die türkisch-griechischen Streitereien um Seegebiete gewesen sei. Nun droht man mit weiteren diplomatischen Eklats, im Gegenzug könnte Deutschland ihre Blockadehaltung bezüglich neuen türkischen Sanktionen aufgeben.
Die sogenannte Operation „Irini“ hat das Ziel, das bereits erwähnte Embargo vollständig umzusetzen, auf das sich alle Mitglieder der letzten großen Berlin-Konferenz bezüglich Libyen geeinigt haben. Während Irini von der EU selber koordiniert und durchgeführt wird, nehmen überwiegend nur zwei Länder mit mehreren Kampfschiffen an der Operation teil: Griechenland und Frankreich. Jene Staaten, die ohnehin die ostlibysche Parallelregierung unterstützen und dessen natürliches Interesse darin liegt, die enorme Unterstützung der Türkei für die Einheitsregierung zu unterbinden. Dennoch kann Irini bisher nur wenige Erfolge vorweisen und kein einziges Schiff auf dem Weg nach Libyen stoppen, welches tatsächlich das Waffenembargo verletzte, da die Türkei stets mit einer militärischen Intervention drohte.
Anfang Juni versuchte eine griechische Fregatte, ein Transportschiff unter der Flagge Tansanias zu stoppen, welches gerade die libysche Küste ansteuern wollte. Bevor es diese Aktion ausführen konnte, wurde die griechische Flotte von türkischen Begleitschiffen bedroht, wodurch man sich zurückzog. Nur eine Woche später gab es einen ähnlichen Vorfall, diesmal durchsuchte ein französisches Kriegsschiff einen türkischen Frachter und konnte erst durch gefährliche Manöver türkischer Fregatten daran gehindert werden. Sie sollen sogar davor gewarnt haben, ihre Waffensysteme gegen Frankreich einzusetzen. Während bisherige Erfolge ausblieben, sieht die Zukunft der Operation Irini ebenso düster aus: Malta kündigte den Austritt dem Operationsraum aus und drohte mit einem Veto gegen eine zukünftige EU-Unterstützung von Irini, was als Annäherung zur libyschen Einheitsregierung gesehen wird.