
Seit dem Jahre 2020 ist es keine Seltenheit mehr, nicht nur syrische, russische und türkische Drohnen und Flugzeuge im Luftraum des Nordwesten Syriens zu erblicken. Auch die USA operiert über der letzten, noch von aufständischen Islamisten kontrollierten Provinz des Landes immer öfters und tötet dabei systematisch wichtige Dschihadisten, die in Verbindung mit dem Islamischen Staat oder al-Qaida stehen. Denn die Region Idlib ist über die Jahre des syrischen Krieges hinweg zum Rückzugs- und Schutzort etlicher Glaubenskämpfer geworden und damit auch jene Fraktion, die die USA jahrelang mit Waffen und Ausrüstung im Wert von Milliarden Dollar unterstützt und beliefert haben. Nun versucht man, zumindest teilweise diese Gefahr auszumerzen.
Der letzte amerikanische Luftangriff auf Idlib ereignete sich erst vor vier Tagen in der gleichnamigen Provinzhauptstadt, welche in Folge der Flüchtlinge enorm angewachsen ist und traditionell unter der Kontrolle der größten Oppositionsgruppierung Tahrir al-Sham (ehemals bekannt unter den Namen Fateh al-Sham und Jabhat al-Nusra, syrischer al-Qaida-Ableger) steht. Während über der Stadt mehrere Predator-Drohnen kreisten, wurde ein Autokorso im Viertel al-Qusur von einer R9X-Hellfire-Rakete angegriffen, die für ihre Präzision und Schnelligkeit bekannt sind. Bei dem erfolgreich getöteten Ziel handelte es sich um den tunesischen Islamisten Sayyaf al-Tounsi, einem ranghohen Mitglied von Hurras al-Din, dem offiziellen syrischen Ableger von al-Qaida. Kurz darauf bekannte sich die USA auch zu dem Angriff.
Weitere Beispiele sind die Angriffe auf Abi Yahya al-Uzbeki oder Ahmed al-Davis. Vor drei Monaten wurde al-Uzbeki nahe der Stadt Samada in der Provinz Idlib durch einen amerikanischen Luftangriff getötet, welcher jedoch offiziell kein Mitglied von Hurras al-Din war. Stattdessen soll er mehrere dschihadistische Organisationen trainiert und ausgebildet haben. Dies zeigt zugleich, dass die USA auch immer breiter aufgestellte Ziele ins Visier nimmt, nicht nur direkte Mitglieder verschiedener Terrormilizen. Ahmed al-Davis wurde wiederum nahe al-Bab ermordet, also nicht in Idlib, sondern im Norden der Provinz Aleppo. Das Territorium dort steht fest unter der Kontrolle der „Syrischen Nationalarmee“, ein von der Türkei finanziertes und aufgebautes Milizenbündnis, welches faktisch der türkischen Regierung untersteht. Nichtsdestotrotz ist die USA auch in türkischen Schutzgebieten aktiv, wo sie allerlei Mitglieder des Islamischen Staates töten können.
Ahmed al-Davis ist Einer davon. Er war unter dem IS jahrelang Gouverneur der Provinz Raqqah im Norden des Landes. Nach der militärischen Niederlage gegen die USA und die von ihnen unterstützten kurdisch-arabischen „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) floh er in das türkische Schutzgebiet, wo er bis vor kurzem unbehelligt leben konnte. Das Schicksal teilt er mit anderen, so wurde z.B. vor zwei Monaten Abu Zaki Taybani getötet, welcher der militärische Kommandant für den Islamischen Staat in der zentralsyrischen Provinz Hama war. Insgesamt hat sich die Region unter dem Schutz der Türkei oder Idlib zu einem Rückzugsgebiet für etliche Dschihadisten entwickelt, zu den bekanntesten gehört der ehemalige IS-Kalif Abu Bakr al-Baghdadi. Demnach soll sich der wohl am meisten gesuchte Terroristenführer nur wenige Kilometer von der türkischen Grenze in einem Dorf nahe der Stadt Barisha versteckt haben.
Diese Aktionen der USA offenbart das Scheitern der eigenen Syrien-Politik. Fraktionen, die man vor Jahren noch mit Waffen und Training direkt unterstützte in der Hoffnung, die syrische Regierung stürzen zu können, sind inzwischen Teil von Gruppierungen wie Tahrir al-Sham oder Hurras al-Din geworden oder kooperieren zumindest mit ihnen. Dies geschieht unter der Obhut und Aufsicht des NATO-Partners der Türkei, welcher in Idlib und Nord-Aleppo militärisch präsent ist und damit die Islamisten vor Übergriffen schützt. Dementsprechend wenig überraschend ist es auch, etliche Mitglieder von al-Qaida oder dem Islamischen Staat im Nordwesten Syriens anzutreffen.