In den letzten Tagen ist eine neue Entwicklung in Belarus zu beobachten, die sich von der ersten Woche landesweiter Proteste unterscheidet: Sowohl die Regierung, als auch ausländische Fraktionen und Organisationen aus Ost und West versuchen, ihren Einfluss in der gegenwärtigen Lage auszuweiten und damit aktiv eine Spaltung zwischen den verschiedensten Interessen voranzutreiben. Insbesondere die weißrussische Regierung unter Alexander Lukaschenka bemüht sich, die Opposition beispielsweise als “ von außen gesteuert, homofreundlich, nationalistisch und anti-russisch“ zu inszenieren, um die Demonstranten zu spalten und zudem Russland auf seine Seite zu bekommen. Dies wiederum ruft den Westen unter der Führung der EU auf den Plan, welche zunehmend in das Geschehen von Belarus eingreift. Das Resultat: Die Wiederholung des Ukraine-Szenarios.
Lukaschenka und die Führung des Landes hat in den vergangenen Tagen ihre aggressive und oppositionsfeindliche Rhetorik erheblich intensiviert. Der neue Narrativ von ihm: Die Bevölkerung demonstriert nicht gegen die Mächtigen, gegen die Regierung im Land, sondern anti-russische Revolutionäre und Umstürzler versuchen sich die Macht an sich zu reißen, wodurch es zum anti-russischen vs. pro-russischen Geltungskampf kommt. Demnach versucht die Opposition, die russische Sprache und das kyrillische Alphabet zu verbieten und einen NATO-Beitritt zu ersuchen. Damit verschafft er sich nicht nur eine Verschnaufpause, sondern „internationalisiert“ den Konflikt in Belarus, was wiederum zu neuen Aktionen Russlands und des Westens führt.
Um diese Darstellung zu veröffentlichen, wurden die Sprachrohre der Staatsmedien reaktiviert, welche größtenteils durch einen Generalstreik der Mitarbeiter für mehrere Tage blockiert wurden und erst durch den Einsatz von „Streikbrechern“ (Militär und Polizisten) ihre Arbeit wiederaufgenommen haben. Darin wird klar kommuniziert, dass es nur die Wahl zwischen Lukaschenka und der vollkommenen Zerstörung des Landes wie in Syrien gibt, zumindest wenn man den Werbespots glauben mag. Das drückt zugleich die bisherigen Drohungen Lukaschenkas aus, nicht freiwillig zurücktreten zu wollen und dafür auch vor keinem militärischen Großaufgebot Halt macht. Insgesamt überlässt man damit nicht nur der Bevölkerung eine Wahl, sondern auch Russland, indem sie die Aufständischen als anti-russisch porträtieren.
Dieser Narrativ scheint bisher relativ erfolgreich zu sein, nicht nur teilen viele Menschen international diese simplifizierte Darstellung des Geschehens, sondern auch der Westen in Form der EU und Russland scheinen sukzessive gegensätzliche Stellungen zu beziehen. Die EU verkündete am Mittwoch, das Wahlergebnis in Belarus nicht anerkennen zu wollen und die Opposition finanziell zu unterstützen, auch wenn ein Großteil der Gelder für die „Corona-Bekämpfung“ eingesetzt werden sollen. Insbesondere die Nachbarländer Polen und Litauen bieten einen sicheres Rückzugsgebiet für Oppositionelle, seit Jahren befinden sich viele von ihnen dort im Exil, zuletzt auch Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja. Außerdem werden Sanktionen verhängt, die aber nur die Machthaber im Land betreffen sollen.
Russlands Vorgehen ist wesentlich undurchsichtiger. Offiziell behält man zur Opposition und zur Regierung Kontakte und erhofft sich eine baldige Beilegung des Konfliktes. Russische Medien, vor allem das Staatsfernsehen, nimmt aber eine zunehmend regierungsunterstützende Position ein, die Propagandavorwürfe Lukaschenkas werden problemlos übernommen. In den ersten Tagen der Proteste sah das noch anders aus, als russische Journalisten von Polizisten in Belarus attackiert und an ihrer Arbeit behindert wurden. Dementsprechend negativ fiel die Berichterstattung aus. Ebenso wird das westliche Eingreifen kritisiert. Taten auf dem Boden zeigen jedoch, dass auch Russland sich auf eine mögliche Intervention vorbereitet.
Etliche Militärtrucks, bei denen extra jegliche Insignien und Symbole entfernt wurden und damit nicht mehr Russland zugeordnet werden können, wurden von Anwohnern von St. Petersburg auf den Weg zur belorussisch-russischen Grenze gesichtet. Der Großteil soll zur russischen Polizei und Nationalgarde gehören, zumindest bevor die Karosserien übermalt wurden. Derzeit sollen sich die Konvoi in der Region von Smolensk aufhalten, welche sich nahe der Grenze zum Belarus befindet. Jedoch ist ungeklärt, ob ein tatsächlicher Grenzübertritt erfolgen wird oder es sich um eine rein präventive Maßnahme handelt, um dann im Falle revolutionärer und gewaltsamer Umstürze im Land zu intervenieren, ähnlich der Situation in der Ukraine.
Die Spaltung wird auch dadurch verstärkt, dass die Opposition nun einen siebenköpfigen „Koordinationsrat“ ausgerufen hat, welches den Wechsel von Lukaschenka zu einer wahren demokratisch legitimierten Regierung koordinieren soll. Innerhalb des Rates finden sich namhafte Personen, z.B. die Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch oder der ehemalige Minister Pawel Latushka. Swetlana Tichanowskaja selber ist durch eine Stellvertreterin repräsentiert, einziger politischer Newcomer ist Siarhei Dyleuski, welcher die streikenden Arbeiter repräsentiert und bei dem Traktorenhersteller MTZ tätig ist. Bisher nur symbolischer Natur, stellen sie eine mögliche Unterstützungsalternative für ausländische Regierungen dar. In den bisher veröffentlichten Statements bekräftigten sie die Haltung, die belorussische Außenpolitik kaum ändern und damit enge Beziehungen mit Russland pflegen zu wollen.