Wenig überraschend beschloss das ägyptische Parlament in der letzten gemeinsamen Sitzung vor wenigen Tagen eine mögliche Militärintervention im westlichen Nachbarland Libyen. In einer geschlossenen Sitzung stimmte das Abgeordnetenhaus für „Kampfeinsätze außerhalb Ägyptens, um die nationale Sicherheit gegen kriminelle und bewaffnete Milizen sowie ausländische terroristische Elemente“ zu verteidigen. Damit unterstreicht der ägyptische Staatsapparat die bereits bestehenden Drohungen einer möglichen Militärintervention im Bürgerkriegsland, um die ostlibysche Tobruk-Regierung bzw. die „Libysche Nationalarmee“ (LNA) unter der Führung Khalifa Haftars gegen die von der Türkei abhängige „Einheitsregierung“ (GNA) aus dem Westen des Landes zu unterstützen. In Libyen selber herrscht derweil eine faktische Waffenruhe, während beide Seiten den nächsten Schritt abwarten.
Damit verleiht sich Ägypten auch die Legalität für einen möglichen Truppeneinsatz, nachdem Präsident al-Sisi bereits vor Wochen eine derartige Operation in Aussicht stellte, nachdem die Tobruk-Regierung in ihrer Tripolis-Offensive schwere Verluste erleiden musste und fast vollständig aus der nordwestlichen Region von Tripolitanien vertrieben wurde. Die letzten zwei Orte in dem Gebiet – al-Jufra und Sirte – wurden kurzerhand zur „roten Linie“ erklärt, ein Angriff der Türkei oder Einheitsregierung darauf würde eine sofortige Militärintervention provozieren; zumindest wenn man der Rhetorik Ägyptens glauben mag. Rückendeckung dafür gibt es von Frankreich, welches den Schritt begrüßte und selber von diplomatischen Erfolgen spricht, unter anderem von einem „erfolgreichen Gespräch“ mit Donald Trump über die Situation in Libyen.
Aus militärischer Sicht ist die Situation auf dem Boden hingegen relativ ruhig. An den zwei wichtigsten Frontstädten, Sirte an der Küste und al-Jufrah mit dem dazugehörigen, strategisch wichtigen Militärflughafen kommt es kaum zu Schusswechseln, lediglich Drohnenabschüsse werden auf beiden Seiten immer wieder verzeichnet. Beide Fraktionen rüsten für die bevorstehende Offensive, welche mit der immensen Unterstützung der Türkei stattfindet. Die türkische Regierung entsendete in den letzten Tagen noch mehr Kriegsschiffe und Waffenlieferungen in die Region, um die Milizen der GNA weiter zu stärken. Die Nationalarmee verstärkt ihre Truppenpräsenz insbesondere in der Hafenstadt Sirte, da darüber fast der gesamte Erdölexport des Landes läuft.
Bei al-Jufrah gibt es wohl die höchste Konzentration an internationalen Truppen derzeit. Nicht nur besitzt die russische Privatarmee Wagner dort eine wichtige Präsenz und unterhält einigen Meldungen zufolge sogar mehrere Luftabwehrsysteme, auch die russischen Streitkräfte selber sind vor Ort präsent: Mehrere Kampfjets ohne russische Hoheitszeichen sind auf der dortigen Militärbasis stationiert. Zudem gibt es Berichte von französischen Spezialeinheiten, die in der Region aktiv sind. Die Unterstützung Frankreichs für die Libysche Nationalarmee ist kein Geheimnis und bereits in der Vergangenheit waren französische Einheiten an der Islamisten- und Terrorbekämpfung in der Region um Benghasi in Ostlibyen beteiligt, dennoch handelt es sich lediglich um Gerüchte. Zuletzt soll es auch syrische Söldner in al-Jufrah geben, die von Russland oder der Wagner-Armee rekrutiert wurden, weil sie in Syrien keine anderen Berufsperspektiven sehen. Jedoch existieren hinsichtlich der Präsenz syrischer Söldner keine Belege.
Die Tobruk-Regierung unter Khalifa Haftar kontrolliert etwa 70% des Landes, ein Großteil davon ist jedoch Wüste. Die dortige Koalition bestand zunächst aus verschiedenen Milizen, welche sich jedoch auch aufgrund internationaler Hilfe zunehmend professionalisierten und inzwischen in Form der „Libyschen Nationalarmee“ zu den stärksten Streitkräften auf dem libyschen Schlachtfeld gehören. Dennoch agieren viele Milizen unter dem Schirm der LNA weiterhin unabhängig. Haftar verschrieb sich persönlich primär der Bekämpfung von islamistischen Kräften im Land, so wurden über mehrere Jahre und Monate hinweg Städte wie Benghazi oder Dernah aus den Händen des Islamischen Staates, al-Qaidas oder lokaler Islamisten befreit. Unterstützt wird er dabei vor allem durch Russland, das Nachbarland Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch Frankreich, welches zunehmend gute Beziehungen zu Haftar aufrecht erhält, nachdem er für eine Notoperation nach Frankreich transportiert wurde. Auch Griechenland, Saudi-Arabien und Jordanien unterstützen Ostlibyen. Zudem ist er amerikanischer Staatsbürger, nachdem er erfolglos gegen Ghadaffi 1989 geputscht hatte und die USA ihm eine Zuflucht anbot.
Auf der anderen Seite befindet sich die sogenannte „Einheitsregierung“, welche von der UN als legitimer Vertreter des libyschen Staates angesehen wird. Im Vergleich zur Tobruk-Regierung existiert eine niedrigere militärische und politische Einheit, immer wieder versuchen lokale Milizen aus den verschiedenen Vorstädten von Tripolis um die Herrschaft zu buhlen und attackierten auch mehrmals die örtlichen „Tripolis Protection Force“. Die verschiedenen Milizen vor Ort haben die tatsächliche Macht in der Region, die Regierung unter al-Sarraj ist vergleichsweise machtlos und auf die internationale Unterstützung angewiesen. Diese Unterstützung erhalten sie in erster Linie von der Türkei, aber auch der Iran und Katar transportierten bereits Waffen und lieferten finanzielle Hilfe. Der Konflikt zwischen der Einheits- und Tobruk-Regierung ist aber nicht nur Ausdruck geopolitischer Machenschaften, sondern zeigt die weiterhin bestehende Aufteilung des Landes in das ostlibysche Cyranaika und westlibysche Tripolitanien auf, die die angespannten Beziehungen der Regierungen und Bevölkerung stärken.