Mehrere unerwartete Ereignisse in Nordsyrien sorgen für Rätselraten: Obwohl sich die involvierten Schutzmächte Russland und die Türkei auf eine gemeinsame Waffenruhe und sich auf weitere Beschlüsse einigen konnten, kommt es in der Region weiterhin zu schweren Gefechten zwischen den von der Türkei unterstützten syrischen Islamisten, organisiert in dem Dachverband der „Syrischen Nationalarmee“ (SNA) und der syrischen Armee und Einheiten der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF), in einigen Frontabschnitten zieht sich die Regierungsarmee überraschend zurück und zudem durchqueren amerikanische Militärkonvois die Region, obwohl sie eigentlich einen Rückzug nach Ostsyrien planen.
Dutzende amerikanische Militärfahrzeuge und leere Trucks bewegten sich entlang der M4-Autobahn in Nordsyrien von der Stadt Ain Issa zu ihrer ehemaligen Militärbasis nahe Kobane und dem dazugehörigen Sarrin-Flugfeld. Dort sollen sie verbliebenes Equipment abgeholt haben, welches nach dem überraschenden Abzug zurückgelassen wurde. Auch wurden mehrere Fahrzeuge von der SDF konfisziert, nachdem man sie Jahre zuvor ihnen zur Bekämpfung des Islamischen Staates übergab. In der Nähe der Grenzstadt Qamishli unternahm die USA ebenfalls mehrere Militärpatrouillen trotz der Präsenz Russlands und der syrischen Regierung, wohl um die derzeit bestehenden Logistikrouten aufrechtzuerhalten und damit den Bau der amerikanischen Militärbasen in der ostsyrischen Provinz Deir ez-Zor zu unterstützen.
Derweil kam es zur ersten gemeinsamen Militärpatrouille zwischen der Türkei und Russland in der Nähe der syrischen Grenzstadt Derbesayah, welche bisher nicht von Kämpfen betroffen war. Die türkischen Fahrzeuge wurden von der kurdischen Bevölkerung mit Tomaten und Schuhen beworfen. Eigentlich sollte es auch bereits eine gemeinsame Patrouille bei Kobane gegeben haben, aufgrund von verschiedenen Vorkommnissen wurde dieser Plan bisher zweimal verschoben. An anderen Orten sind bisher keine Patrouillen geplant, da es in weiten Teilen Nordsyriens immer noch zu Gefechten kommt und sich die kurdischen Volksverteidigungseinheiten noch nicht vollständig zurückgezogen haben, obwohl es so die türkisch-russische Vereinbarung besagt.
Für besonderes Kopfzerbrechen sorgt die Situation nahe der arabischen Stadt Tel Tamr, welche rund 30 Kilometer südlich von Ras al-Ayn liegt. Der Ort besaß ehemals einen amerikanischen Militärstützpunkt, welcher jedoch aufgegeben und die Garnison der Stadt stattdessen durch Hunderte Soldaten der Syrisch-Arabischen Armee ersetzt wurde. Unabhängig von der Waffenruhe rückten die von der Türkei finanzierten und unterstützten Islamisten unentwegt auf Tel Tamr zu, in mehreren Vororten kam es zu schweren Gefechten zwischen SNA, syrischer Armee und verbündeten Einheiten der SDF. Zwar verfügen die Armee über schweres Militärgerät wie Panzer und Artillerie, jedoch wurden diese aus unbekannten Gründen noch nicht eingesetzt, möglicherweise um keine Eskalation und Reaktion der Türkei zu provozieren.
Dadurch können die Islamisten an Boden gewinnen, zeitweise zog sich die Armee sogar aus Tel Tamr und Derbesayah zurück, nur um ihre Positionen wenige Stunden später wieder zu besetzen. In den Kämpfen verlor man bereits mehrere Fahrzeuge, vor wenigen Tagen wurden insgesamt 18 Soldaten von Islamisten festgenommen, die durch Verhandlungen zwischen Russland und der Türkei am Donnerstag wieder freigelassen wurden. Zwar gibt es auch Meldungen von erfolgreichen Gegenangriffen und der Wiedereroberung von mehreren Dörfern nördlich von Tel Tamr unter dem Kommando der SDF, jedoch sind diese Erfolge oft nur kurzfristig.
2 Kommentare zu „Islamisten rücken in Nordsyrien vor“