Nach mehrwöchiger Defensive der kurdischen Kämpfer muss sich nun auch die Grenzstadt Ras al-Ayn geschlagen geben, nach einem ausgehandelten Abzug befindet sich nun neben Tel Abyad eine weitere wichtige Grenzstadt unter der Kontrolle der Türkei. Die Militäroffensive des nördlichen Nachbarn mit dem Titel „Operation Friedensquelle“ und der intensiven Unterstützung syrischer Islamisten kann dies zwar als Etappensieg verkaufen, jedoch scheint auch damit der Großteil der türkischen Initiative beendet zu sein, das arabisch-kurdische Militärbündnis der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) kann die große Mehrheit des Grenzgebietes schützen. Währenddessen vollendet die USA ihren Truppenabzug aus Nordsyrien.
Die seit Anbeginn der türkischen Offensive andauernde Verteidigung der syrischen Grenzstadt Ras al-Ayn wurde am Sonntag offiziell aufgegeben, nachdem sie einen Tag zuvor vollständig belagert und sogar Krankentransportern der Weg hinein oder raus versperrt wurde. Unter der Behauptung, sich an die zwischen der Türkei und den USA ausgehandelte Waffenruhe zu halten und sich dementsprechend aus der 30 Kilometer breiten Sicherheitszone zurückzuziehen, kündigte man den Rückzug aus der Stadt an. In Wirklichkeit jedoch ist es wohl eher der Versuch sein Gesicht zu wahren, nachdem man diese Vereinbarung klar ablehnte und die Islamisten zunehmend mehrere Viertel erobern konnten und die militärische Lage sich immer weiter zugunsten der Türkei auswirkte.
Derzeit kontrolliert die Türkei weite Teile der Gebiete zwischen den Orten Tel Abyad und Ras al-Ayn, ein Landstrich welcher zwar landwirtschaftlich reich, aber dünn besiedelt ist. Bis zu 30 Kilometer bis an die M4-Autobahn konnten die Islamisten vorrücken, seitdem scheint es aber auch keine weiteren Offensiven zu geben. Auch in anderen Grenzabschnitten wie bei Qamishli oder Kobane wurden die Gefechte mit der Stationierung der syrischen und russischen Streitkräfte beendet. Sollte es zu keiner gemeinsamen Gegenoffensive der SDF und syrischen Armee kommen, so würde Erdogan letztendlich etwa 25% der von ihm erhofften Sicherheitszone in Syrien erhalten. Zumindest genügend, um in diesem Gebiet die türkischen Pläne des demographischen und ethnischen Wandels durch die Rückkehr Hunderttausender arabischer Flüchtlinge durchzusetzen.
Der Abzug der amerikanischen Einheiten aus Nordsyrien ist inzwischen nahezu abgeschlossen. Hunderte US-Soldaten befinden sich derzeit nahe dem syrisch-irakischen Grenzübergang Umm Jaris, welcher in das irakische Kurdistan führt. Der Truppenabzug war für die dort stationierten Soldaten ebenso überraschend wie für die Bevölkerung: Viele der amerikanischen und französischen Militärbasen finden sich im nahezu betriebsfähigen Zustand und sind fast vollständig intakt. Die einrückenden Soldaten der syrischen Armee und russische Militärpolizei besetzten darauffolgend die Stützpunkte und fanden viel privates Material, darunter Dokumente, Filme oder Spielekonsolen der amerikanischen Soldaten.
Besonders lange hat der Rückzug nahe der syrischen Grenzstadt Kobane gedauert, da sich dort in einer ehemaligen Zementfabrik der größte Militärstützpunkt der USA befand. Aufgrund des hastigen Abzuges musste man die Basis mit eigenen Luftangriffen zerstören, sodass sie und wichtige Informationen nicht in die Hände des Feindes (Syrien/Russland) fallen. Der Großteil der Truppen wird ab sofort im kurdischen Norden des Iraks stationiert sein, eine wirkliche Rückkehr in die USA stellt es also nicht dar.
Ein anderes Bild ergibt sich hingegen in Ostsyrien, wo die USA weiterhin ihre Präsenz beibehalten will. In der ostsyrischen Provinz Deir ez-Zor sind weiterhin Hunderte Soldaten positioniert und patrouillieren dort die reichen Ölreserven der Region. Auch große Teile des dortigen Militärrates lehnen einen Abzug der USA bzw. die Stationierung von syrischen Regierung ab, was ein Kontrast zur sonstigen SDF darstellt. Das liegt vor allem daran, dass der rückständige Osten traditionell oppositionell ist und vor allem islamistische Kreise unterstützt. An der Spitze des Deir-ez-Zor-Militärrates steht Abu Khawlah, welcher in der Vergangenheit bereits unter IS-Zeiten als Schmuggler auftrat und besonders feindlich gegenüber der Regierung auftritt. Auch Donald Trump betont in seinen Tweets immer wieder, dass „das Öl gesichert/beschützt ist“, wo er direkt auf Deir ez-Zor anspricht.