
Der türkische Präsident Erdogan und das Verteidigungsministerium verkünden den Beginn der groß angelegten Militäroperation der türkischen Streitkräfte und ihrer syrischen Stellvertreter gegen das kurdisch-arabische Bündnis der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) im Norden Syriens. Demnach stehen Zehntausende Truppen und Verbündete entlang der gemeinsamen Landesgrenze bereit, um die „terroristische PKK“ bzw. ihren syrischen Flügel mit den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zu vernichten und für Frieden und Stabilität zu sorgen. Aufgrund dessen trägt die Militäroperation den Namen „Friedensquelle“. Der Angriff beginnt mit mehreren Luftangriffen auf die syrische Grenzstadt Ras al-Ayn, welches eines der wichtigsten Grenzübergänge zur Türkei darstellt. Es droht, ein neues Afrin zu werden.
Bisher kommt es nur zu Bombardements durch türkische Kampfjets, erste Meldungen beschränken sich auf Ziele in den Grenzstädten von Ras al-Ayn, Ayn al-Arab und umliegenden Orten. In der kurdischen und arabischen Bevölkerung kommt es zur Massenpanik, viele fliehen in Richtung Süden oder in den Irak, falls sie es noch nicht in den vergangenen Tagen getan haben. Es bleibt abzuwarten, wann die Bodenoffensive beginnt und welche Dimension sie annehmen wird. Derzeit beschränken sich die türkischen Operationen auf einen relativ kleinen Bereich im Zentrum des Grenzverlaufes. Zudem bleibt die Frage, wie viele eigenen Bodentruppen die Türkei einsetzen wird oder lediglich auf ihre syrischen Söldner setzt.
Eigenen Angaben zufolge warten bereits 14.000 Kämpfer der „Syrischen Nationalarmee“ für eine türkische Operation bereit an der Grenze. Die Nationalarmee ist ein türkischer Versuch, die verschiedenen islamistischen Milizen unter der eigenen Schirmherrschaft in Afrin und Nord-Aleppo zu vereinen, faktisch jedoch existiert keine gemeinsame Struktur und Organisation. Stattdessen kommt es immer wieder zu Plänkeleien um Macht und Einfluss zwischen den verschiedenen Gruppierungen, die oft auf den Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden. Sollte sich das Afrin-Szenario in Nordsyrien wiederholen, würde das vor allem bedeuten: Massenvertreibung, Zunahme von ethnischen Konflikten zwischen Arabern und Kurden, Korruption und die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zum eigenem Interesse.
Es war schon immer ein Ziel der türkischen Regierung, die kurdischen Gruppierungen entlang der syrisch-türkischen Grenze zu entfernen. Erst vor vier Tagen drohte Erdogan mit einer Operation gegen die mehrheitlich kurdischen Aufständischen und betonte die Dringlichkeit einer „Deeskalationszone“ entlang der syrischen Grenze, um die Türkei schützen zu können. Zunächst reagierte die USA mit diversen Zugeständnissen, so unternahm die USA zusammen mit der Türkei mehrere Militärpatrouillen entlang der Grenze und erklärte sich auch bereit, den Abzug schwerer Waffen und der kurdischen YPG zu unterstützen. Jedoch waren diese Angebote für die Türkei stets ungenügend und stattdessen betonte man die Errichtung einer rund 30 Kilometer breiten Deeskalationszone, welche von der Türkei und seinen islamistischen Milizen kontrolliert und überwacht werden soll.
Mit dem überraschenden Abzug der amerikanischen Truppen vom Grenzgebiet, veranlasst durch den Willen Trumps, wurde dieser Operation nun Tür und Tor geöffnet. Zwar nahmen amerikanische Soldaten wieder bei Kobane bzw. Ayn al-Arab Stellung an der Grenze, jedoch sind Hunderte weitere Kilometer von der internationalen Koalition ungeschützt. Bisher sind die genauen Ziele der türkischen Offensive unbekannt, möglicherweise möchte man aber auf militärischen Wege diese etwa 30 Kilometer breite Pufferzone entlang der gesamten gemeinsamen Grenze errichten. In diesem Gebiet würden sich mehrheitlich kurdische Regionen und größere Städte wie Kobane, Ras al-Ayn, Ayn al-Arab oder Qamishli befinden, die auch das Gros der Bevölkerung der SDF stellen und vom syrischen Bürgerkrieg bisher verschont blieben.
Zu den selbst gesetzten Zielen der Operation gehört die „freiwillige Wiederansiedlung“ von bis zu drei Millionen syrischen Flüchtlingen, welche vor Jahren aus anderen Teilen Syriens vertrieben wurden und nun zurückkehren sollen. Diese mehrheitlich arabischen Flüchtlinge wurden langfristig zu einem Wandel der derzeit mehrheitlich kurdischen Demographiestrukturen führen, welche damit in ganz Syrien zu einer Minderheit degradiert werden würden. Wie in Afrin wird dies erreicht durch die Vertreibung der einstigen Bevölkerung, noch heute sind 300.000 Menschen aus der Region Afrin als Flüchtlinge registriert, viele davon in Nordsyrien.