„Meine Geschwister, nun werden wir in den Norden des Euphrats einrücken“, mit diesen Worten empfing der türkische Präsident Erdogan seine Anhänger in der Stadt Busra empfangen. Mit dem Norden des Euphrats sind jene Gebiete östlich des Euphrats gemeint, welche sich seit Jahren fest unter der Kontrolle der kurdisch-arabischen „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) stehen und seit jeher für die türkische Regierung ein Dorn im Auge des eigenen Einflusses ist. Laut des Präsidenten seien Russland und die USA bereits informiert. Ob diese explizite Drohung jedoch eine wirkliche Offensive nach sich zieht ist ein Rätsel, besonders da derartige Aussagen in der Türkei regelmäßig getroffen werden. Letzten Endes entscheidet die USA über den Ausgang die derzeitigen Entwicklungen.
Zuvor sind die Türkei und die USA an intensiven Verhandlungen beteiligt, besonders soll es bei diesen Gesprächen um die Errichtung einer Pufferzone entlang der türkisch-syrischen Grenze geben, die den Abzug von kurdischen Einheiten und regelmäßige Patrouillen türkischer und amerikanischer Soldaten vorsehen. Diversen Berichten zufolge soll die türkische Forderung eine bis zu 30 Kilometer breite Zone befürworten, die USA soll hingegen eine bis zu 14 Kilometer breites Gebiet vorschlagen, welches mit 140 Kilometer etwa ein Drittel der Grenze beinhaltet.
Derartige Aussagen sind nicht selten und finden alle paar Monate seitens Erdogan oder einem anderen Regierungsvertreter statt, im Vergleich zum letzten Mal hat sich das Verhältnis zu den USA jedoch deutlich verschlechtert, nachdem die Türkei aufgrund des Aufkaufs des russischen S-400-Luftabwehrsystems sanktioniert und daraufhin die Lieferung der modernen F-35-Kampfjets beendet wurde. Noch nie richteten sich die Drohungen der Kurden auch an die USA, die dazugehörige Schutzmacht in Syrien. Die Türkei wird keine direkten Angriffe gegen amerikanische Truppen starten, es ist aber auch unklar, was genau in den Hinterzimmern der Türkei und USA besprochen wird. Bereits in der Vergangenheit mit Manbij, Afrin und dem eigentlich geplanten Truppenabzug bewies die amerikanische Regierung, nur ein bedingtes Interesse an seinen kurdischen Verbündeten zu haben.
Auch kleinere Plänkeleien entlang der bereits geteilten Grenze zwischen SDF-Einheiten und islamistischen Milizen nahe Manbij haben zugenommen. Alleine gestern kam es in der Siedlung Sukkariyah al-Kubra zu größeren Scharmützeln, Militärfahrzeuge waren ebenfalls involviert. Auch Grenztruppen der syrischen Armee sollen präsent gewesen sein. Derartige Angriffe sind nichts ungewöhnliches, jedoch tauchen sie immer öfters, intensiver und mit einer höheren Frequenz auf. Auch die türkischen Streitkräfte treten vermehrt auf, so kam es am Freitag nahe dem Grenzdorf Derbasiyah zu Gefechten, nachdem Soldaten Feuer auf eine Verteidigungsstellung der SDF eröffneten. Die Kurden erwiderten hingegen nicht das Feuer, um ihrerseits nicht zu provozieren und weitere Angriffe zu legitimieren. Eine ähnliche Situation gibt es beim Ort Alishar, wo türkische Truppen sich prominent auf einem ungeschützten Hügel mit Artilleriegeschützen und Militärfahrzeugen zeigten, wohl in der Hoffnung, dass SDF-Kräfte sie dort angreifen und damit eine Invasion legitimeren würden.