Unverändert dauern die Gefechte zwischen der „Libyschen Nationalarmee“ (LNA) unter der Führung der ostlibyschen Tobruk-Regierung und den verschiedenen, miteinander kooperierenden Milizen der sogenannten „Einheitsregierung“ rundum der libyschen Hauptstadt Tripolis an. In den vergangenen Tagen konsolidierten beide Fraktionen ihre Streitkräfte, die Frontlinien stabilisieren sich zunehmend. Von den anfänglichen Erfolgen der LNA wurden und werden Viele revidiert, ein schneller Sieg scheint inzwischen unmöglich zu werden. Als Reaktion darauf fliegt die Luftwaffe der LNA zunehmend Angriffe auf Ziele in Tripolis, die Anzahl an getöteten Menschen steigt auf über 100. Wie sich die Situation weiterentwickeln könnte, ist unklar.
Momentan finden sämtliche Gefechte im Süden der Millionenstadt Tripolis statt, viele der umliegenden Orte wie al-Azizayah, Sawani oder Salahdin sind derzeit Schauort von Kämpfen und wechselten in den vergangenen Tagen mehrmals den Besitzer. Während die Libysche Nationalarmee im Südosten einige Fortschritte verzeichnet und Orte wie Simano erobert, das Yarmouk-Lager und al-Sawahni wiedererobert, starteten die Milizen der Einheitsregierung einen Gegenangriff weiter westlich und konnten nach bisherigem Stand eine Nachschublinie bei al-Azizayah durchschneiden, die LNA behauptet hingegen noch Teile der wichtigen Stadt zu kontrollieren. Derweil kündigte das Verteidigungsministerium der Tobruk-Regierung an, vermehrt Luftschläge geflogen zu haben, auch Luftunterstützung in der Form von Helikoptern hat zugenommen.
Auch fernab der Frontlinien geht der Meinungskampf zwischen den zwei Fraktionen weiter. Während die Einheitsregierung behauptet, dass russische Söldner und Soldaten aus den Golfstaaten auf Seiten der Libyschen Nationalarmee kämpften, besteht Tobruk auf eine Kooperation von ehemaligen Kämpfern des Islamischen Staates und al-Qaidas mit der Einheitsregierung. Zudem sollen ausländische Piloten die Kampfjets der Einheitsregierung fliegen, wie man anhand von veröffentlichten Bildern beweisen will. Für beide Behauptungen existieren bisher keine Beweise.
Die Tobruk-Regierung unter Kahlifa Haftar kontrolliert etwa 80% des Landes, ein Großteil davon ist jedoch Wüste. Die dortige Koalition bestand zunächst aus verschiedenen Milizen, welche sich jedoch auch aufgrund internationaler Hilfe zunehmend professionalisierten und inzwischen in Form der „Libyschen Nationalarmee“ zu den stärksten Streitkräften auf dem libyschen Schlachtfeld gehören. Haftar verschrieb sich persönlich der primären Bekämpfung von islamistischen Kräften im Land, so wurden über mehrere Jahre und Monate hinweg Städte wie Benghazi oder Dernah aus den Händen des Islamischen Staates, al-Qaidas oder lokaler Islamisten befreit. Unterstützt wird er dabei vor allem durch Russland, das Nachbarland Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch Frankreich, welches zunehmend gute Beziehungen zu Haftar aufrecht erhält, nachdem er für eine Notoperation nach Frankreich transportiert wurde.
Auf der anderen Seite befindet sich die sogenannte „Einheitsregierung“, welche von der UN als legitimer Vertreter des libyschen Staates angesehen wird. Im Vergleich zur Tobruk-Regierung existiert eine niedrigere militärische und politische Einheit, immer wieder versuchen lokale Milizen aus den verschiedenen Vorstädten von Tripolis um die Herrschaft zu buhlen und attackierten auch mehrmals die örtlichen „Tripolis Protection Force“. Die verschiedenen Milizen vor Ort haben die tatsächliche Macht in der Region, die Regierung unter al-Sarraj ist vergleichsweise machtlos und auf die internationale Unterstützung angewiesen. Der Konflikt zwischen der Einheits- und Tobruk-Regierung ist aber nicht nur Ausdruck geopolitischer Machenschaften, sondern zeigt die weiterhin bestehende Aufteilung des Landes in das ostlibysche Cyranaika und westlibysche Tripolitanien auf, die die angespannten Beziehungen der Regierungen und Bevölkerung stärken.