Libyen steht kurz vor der Wiedervereinigung unter militärischen Hand: Die ostlibysche Regierung unter der faktischen Führung des Generals und Anführer der „Libyschen Nationalarmee“ (LNA) Khalifa Haftar kündigte den „Marsch auf Tripolis“ an, die eigentliche Hauptstadt des Landes, welche jedoch von der rivalisierenden Einheitsregierung des Präsidenten Fajis Sarraj kontrolliert wird. Nachdem die ostlibysche Tobruk-Regierung ihre Machtposition konsolidieren und ihren Einflussbereich durch militärische Offensive in Südlibyen, gegen Islamisten in Dernah und Benghazi ausweiten konnte, rückt nun Eines der letzten großen Gebiete unter feindlicher Kontrolle ins Visier. Trotz der weitgehenden Kontrolle der LNA über Libyen handelt es sich bei der hauptsächlich von der USA, UN und Italien unterstützten Einheitsregierung um einen fähigen Kontrahenten, welches über ein kleines, aber wirtschaftlich starkes und bevölkerungsreiches Region im Nordwesten des Landes regiert.
Die Offensive, welche nach eigenen Angaben bis nach Tripolis reichen soll, wurde am Donnerstag offiziell verkündet. Die hauptsächlichen Vorstoßrichtungen beschränken sich auf die südliche Achse, von wo man nur noch 30 Kilometer von Tripolis entfernt steht und entlang der Küste, wo sich ebenfalls lukrative Erdölfelder befinden. Angeblich soll es sogar kleinere Marinemanöver geben, die LNA soll mehrere Schlauchboote mitsamt Kampftaucher einsetzen. Im Süden hat die Armee bereits ohne besonderen Widerstand mehrere Orte eingenommen, darunter Städte wie Sarman, Teile Gheriyans und Aziziyahs. Man soll bereits vor der militärischen Operation Verhandlungen mit lokalen Stammes- und Milizenführern gestartet haben, in dessen Folge nicht unnötig Blut vergossen wurde.
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Milizen unter der Einheitsregierung haben bereits die Mobilisierung angekündigt und verlegen derzeit Truppen an die Frontlinien. Es bleibt abzuwarten, ob Haftar die derzeitige Entwicklung hin zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung akzeptiert, nachdem sich viele der umliegenden Orte von Tripolis sich geschlossen hinter der Einheitsregierung gestellt haben. Derzeit gibt es nur Berichte von insgesamt zwei Toten, dafür aber wurden über 100 Soldaten auf beiden Seiten festgenommen.
Die Tobruk-Regierung unter Kahlifa Haftar kontrolliert etwa 80% des Landes, ein Großteil davon ist jedoch Wüste. Die dortige Koalition bestand zunächst aus verschiedenen Milizen, welche sich jedoch auch aufgrund internationaler Hilfe zunehmend professionalisierten und inzwischen in Form der „Libyschen Nationalarmee“ zu den stärksten Streitkräften auf dem libyschen Schlachtfeld gehören. Haftar verschrieb sich persönlich der primären Bekämpfung von islamistischen Kräften im Land, so wurden über mehrere Jahre und Monate hinweg Städte wie Benghazi oder Dernah aus den Händen des Islamischen Staates, al-Qaidas oder lokaler Islamisten befreien. Unterstützt wird er dabei vor allem durch Russland, das Nachbarland Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch Frankreich, welches zunehmend gute Beziehungen zu Haftar aufrecht erhält nachdem er für eine Notoperation nach Frankreich transportiert wurde.
Auf der anderen Seite befindet sich die sogenannte „Einheitsregierung“, welche von der UN als legitimer Vertreter des libyschen Staates angesehen wird. Im Vergleich zur Tobruk-Regierung gibt es weniger militärische und politische Einheit, immer wieder versuchen lokale Milizen aus den verschiedenen Vorstädten von Tripolis um die Herrschaft zu buhlen und attackierten auch mehrmals die örtlichen „Tripolis Protection Force“. Die verschiedenen Milizen vor Ort haben die tatsächliche Macht in der Region, die Regierung unter al-Sarraj ist vergleichsweise machtlos und auf die internationale Unterstützung angewiesen. Der Konflikt zwischen der Einheits- und Tobruk-Regierung ist aber nicht nur Ausdruck geopolitischer Machenschaften, sondern zeigt die weiterhin bestehende Aufteilung des Landes in das ostlibysche Cyranaika und westlibysche Tripolitanien auf, die die angespannten Beziehungen der Regierungen und Bevölkerung stärken.