Die inzwischen vollständig von der Türkei und ihre syrischen Stellvertreter beherrschte Region Afrin im Nordwesten Syriens kommt weiterhin nicht zur Ruhe. Tagtäglich sorgen kurdische Milizionäre für Verluste in den Reihen der Islamisten, im Untergrund dauert ein brutaler Guerillakampf gegen die derzeitigen „Besatzer“ an, die wiederum die über Jahre hinweg aufgebaute Zivilgesellschaft und Lebensgrundlage der Bewohner Afrins zerstören. Nun hat sich eine zweite, anti-türkische Guerillagruppe gebildet, welche massive Unterstützung von der syrischen Regierung und kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) erhalten soll und bereits mehrere Angriffe auf Militärbasen ausgeführt hat.
Inzwischen sind zwei Guerillagruppierungen in Afrin aktiv, die seit Anbeginn tätige „Wrath of the Olives“ (eine Anspielung auf die für Afrin berühmten Olivenbäume und den Namen der türkischen Operation „Olive Branch“, WoO) und erst vor kurzem gegründete „Befreiungsfront von Afrin“. WoO ist seit Anbeginn in Afrin aktiv und soll eher aus arabischen Elementen der ehemaligen Volksverteidigungseinheiten (YPG) bestehen, während sich die Befreiungsfront selber als Nachfolger der YPG versteht und auch professioneller agiert. Beide werden aktiv von der syrischen Regierung unterstützt, welches ihre Ressourcen (vor allem Waffenlieferungen und Krankenhäuser) für die Guerillakämpfer bereitstellt und Rückzugsgebiete bietet.
Letztere soll am Samstag eine Militärbasis bei Jinderes überfallen und dabei fünf Islamisten getötet haben, einen Tag später gab es eine ähnliche Aktion in der Stadt Shera, wobei wiederum vier Kämpfer ermordet wurden. Dabei setzen sie auch Panzerabwehrwaffen und Scharfschützen ein, sind also wesentlich besser ausgerüstet als WoO. Wrath of the Olives konzentriert sich hingegen eher auf Attentate und Überfälle, so detonierten sie eine Sprengvorrichtung bei Jabhat al-Ahlam und zerstörten dabei einen Pick-Up mitsamt drei islamistischen Kämpfern der Hamza-Division. Am Sonntag detonierte im Zentrum der Stadt Afrin ein Bus, wobei drei Zivilisten getötet wurden. Bisher sind die Täter ungeklärt, jedoch bekannte sich WoO vor einem Monat zu einem ähnlichen Anschlag auf einem Markt, welcher auf „arabische Flüchtlinge aus Ost-Ghouta“ gezielt hätte.
Nach der letzten Runde oppositionsinterner Gefechte in der Provinz Idlib zwischen Tahrir al-Sham und der pro-türkischen „Nationalen Befreiungsfront“ mussten Tausende Kämpfer der islamistischen Organisationen Nour al-Din al-Zenki (bekannt für die Enthauptung eines Kindes 2015 in Aleppo) und Ahrar al-Sham sich geschlagen geben und akzeptierten einen Deal mit dem Gegner, in dessen Resultat viele Mitglieder nach Afrin „evakuiert“ wurden. Diese Neuankömmlinge verschlimmern nicht nur die derzeitige Krise zwischen arabischen Flüchtlingen und den kurdischen Bewohnern, sondern fordern auch die derzeitige Herrschaft anderer pro-türkischer Milizen heraus. Nahe dem Dorf Khazawiya kam es zu Kämpfen, nachdem Kämpfer von Nour al-Din Wohnungen der Einwohner beschlagnahmten und ausraubten.
Die Unterstützung für die Volksverteidigungseinheiten nährt sich auch aus der destruktiven Wut der Islamisten. Derzeit versucht man die weitläufigen Olivenplantagen zu zerstören und die dadurch entstandenen Hölzer gewinnbringend in die Türkei zu verkaufen. Afrin ist nicht nur bekannt für seine Olivenbäume, auch haben Oliven vor Ort eine enorme symbolische Bedeutung (nicht umsonst nannte die türkische Armee ihre Offensive in Afrin „Operation Olivenzweig“). Immer wieder entstehen Brände auf den Plantagen, die den Aufständischen zugeschrieben werden. Die noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Eisenbahnstrecken werden von verschiedenen Organisationen abgebaut und das Metall eingeschmolzen, alles für den eigenen Gewinn.
Hinzu kommen die Entführungen, wo angebliche YPG-Anhänger gefoltert und meist erst nach einer hohen Lösegeld freigelassen. Die islamistische Organisation Ahrar al-Sharqiya hat nach eigenen Angaben fünf Kämpfer von Faylaq al-Sham dabei erwischt, wie sie ein Mitglied von al-Sharqiya entführen wollten, den sie für einen Zivilisten hielten. Der Machtkampf macht inzwischen nicht mehr vor den eigentlichen Verbündeten Halt. Seit der „Befreiung“ durch türkische Verbände regiert in Afrin die Korruption.