Seit über einem Monat dauert nun die türkische Operation „Olivenzweig“ in Syrien an, wo die türkische Armee mit verbündeten Oppositionsgruppen (TFSA) gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) bzw. amerikanisch unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) vorgeht und dabei versucht, die Kurden aus der syrisch-türkischen Grenzregion zu vertreiben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und erheblichen Widerstand der Kurden scheinen nun die türkischen Streitkräfte die Oberhand zu gewinnen und konnten unter minimalen Verlusten innerhalb eines kurzen Zeitraumes bedeutende Erfolge erzielen.
Im Norden Afrins sind die Verteidigungspositionen der YPG entlang der syrisch-türkischen Grenze völlig zusammengebrochen, innerhalb nur eines Tages konnte ein Großteil der nördlichen Grenze von den türkischen Streitkräften vollständig erobert werden, wodurch sich nun auch das Gros der miteinander geteiliten Landesgrenze unter türkischer Kontrolle befindet. An mehreren Fronten konnte die türkische Armee vorrücken und entscheidende Erfolge bezeichnen, vor allem neben den zwei wichtigen Städten Jinderes und Rajo. Bei Letzterer wurden die umliegenden Dörfer Hasan Kalkawi, Jalma, Hajikanli al-Fawqani, Al-Darwisha, Hopkan und mehrere Hügel erobert, was den Ort nun von drei Seiten einkreist und durch die Hügel einen strategischen Vorteil verschafft. Es handelt sich nur noch um eine Frage der Zeit, bis die Stadt mit der Unterstützung türkischer Spezialeinheiten unter die Kontrolle der syrisch-türkischen Opposition fällt.
Bei Jinderes hingegen konnten vor allem Ortschaften südlich und südwestlich der Stadt gesichert werden, darunter al-Tataniyah, Qulike. Insgesamt scheint es sich um einen Trend der YPG zu handeln, sich in die größeren Städte zurückzuziehen und dafür die umliegenden Gebiete zu ignorieren. Ähnlich Rajo kündigte das türkische Verteidigungsministerium bereits an, dass für urbanen Häuserkampf extra Spezialeinheiten eingesetzt werden sollen. Man befindet sich nur noch wenige Kilometer von Jinderes entfernt. Außerdem wurden weit im Norden mehrere Dörfer wie Mersawa, Shalt und Ike Dam erobert, hinzu kommen die Ruinen der antiken römischen Siedlung Kyrrhos und dem dazugehörigen Mausoleum. Dadurch fällt fast das gesamte Grenzgebiet in Nord-Afrin unter die Kontrolle der türkischen Armee.

Bei den derzeit andauernden Gefechten wurde ein türkischer Soldat umgebracht, im Vergleich zu den vorherigen Tagen eine relativ niedrige Zahl und ein Indikator dafür, dass die militärische Stärke der Volksverteidigungseinheiten und deren Widerstand zurückgeht. Im Gegensatz dazu wurde im Dorf al-Darwisha eine Soldatin der Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) gefangen genommen, die später als ein 16-jähriges Mädchen identifiziert wurde. Zudem wurden drei Freiwillige aus dem „internationalen Battalion“ getötet, einer zumeist kommunistischen Organisation die den Schutz der „Revolution in Rojava“ vorsieht. Diese drei Kämpfer sind Kendal Breizh (Frankreich), Baran Galicia (Spanien) und Baran Sason (Niederlande). Letzterer war ein bekennder Faschist.
In letzter Zeit nahmen die Artillerie- und Luftschläge zu und wurden inzwischen auf ganz Afrin ausgeweitet, auch auf die Grenzgebiete zum Territorium der syrischen Regierung. Luftschläge töteten in Afrin mehrere Zivilisten, im Gegenzug dazu beschoss die YPG einige Städte im Oppositionsterritorium wie Azaz oder Marea.

Die Bedrohung von Islamisten auf das ansonsten irreligiöse Afrin manifestiert sich immer weiter. Beispielsweise drohte ein TFSA-Kämpfer, alle „atheistischen Kurden“ in Afrin zu massakrieren. Andere stießen dschihadistische Nasheeds an, wo sie die Taten der Islamisten im Kaukasus und in Afghanistan priesen und laut denen Afrin nun der nächste Schritt sei. In Bulbul wurde ein Video aufgenommen, welches eine ausgezogene, verstümmelte Leiche einer YPJ-Kämpferin zeigt. Nun wurde eine erste Straße zwischen Afrin und Idlib eröffnet, wo gerade Islamisten das Sagen haben. Es werden in Zukunft wahrscheinlich immer mehr islamistische Gruppierungen (z.B. neuerdings Jaish al-Nasr) ihr Einflussgebiet auf Afrin ausdehnen wollen, was langfristig unmittelbar zum Konflikt mit der Türkei führt. Die Leidtragenden sind die Einwohner vor Ort, die inzwischen auch zu Tausenden in Richtung Aleppo geflohen sind. Denn die syrische Regierung hat einen Notkorridor eingerichtet, durch den unbehelligt Zivilisten und kurdische Kämpfer zwischen ihren Gebieten in Nordsyrien reisen können.
Beide Seiten kompensieren die Verluste mit dem Erreichen neuer Einheiten und Gruppierungen aus ihren Heimatregionen. In den letzten Tagen und Wochen wurden immer mehr türkische Spezialeinheiten in der Nähe der syrischen Grenze gesichtet, die mithilfe von Transportflugzeugen ihr Ziel erreichten. Auf türkischer Seite werden Eliteeinheiten wie das 56. Regiment an die Grenze gezogen, welche bereits in der Vergangenheit erfolgreich gegen die PKK in der Türkei operieren konnte. Ihre Erfahrung im gebirgigen Terrain wird in der Bergregion von Afrin sehr hilfreich sein. Die vermehrten Tode von türkischen Soldaten sind Indikator für die tiefere Beteiligung der türkischen Armee in Operation „Olivenzweig“. Die TFSA selber wird ebenso vielfältiger, islamistische Gruppierungen wie Nour al-Din al-Zenki oder Tahrir al-Sham kündigten ihre Bereitschaft in dem Falle an, sollte eine neue Front in Süd-Afrin eröffnet werden. Außerdem wurde inzwischen ebenfalls Jaish al-Nasr in Nord-Afrin gesichtet, die ansonsten gegen die Syrisch-Arabische Armee in Nord-Hama und Idlib kämpfen.
Die YPG/SDF hingegen erhält materielle und personelle Unterstützung von der Rest-YPG und -SDF in Nordsyrien, hinzu kommen örtliche Milizen und internationale kommunistische Kampfverbände, die angeblich bereits in Kämpfen einen spanischen und britischen Soldaten verloren haben soll. Die Einheiten nutzten das syrische Regierungsterritorium im Norden der Provinz Aleppo, welches Afrin und das restliche Gebiet der SDF miteinander verbindet. Es stellt den einzigen Weg zu Afrin dar, die restlichen Gebiete werden von der Türkei oder mit ihnen verbündeten Gruppierungen kontrolliert.