
Seit über einer Woche dauert nun die türkische Operation „Olivenzweig“ in Syrien an, wo die türkische Armee mit verbündeten Oppositionsgruppen (TFSA) gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) bzw. amerikanisch unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) vorgeht und dabei versucht, die Kurden aus der syrisch-türkischen Grenzregion zu vertreiben. Trotz ihrer bisher größten Verluste an einem Tag konnten die türkischen Streitkräfte viele Dörfer erobern und die erste Stadt in Afrin bedrohen. Derweil scheinen nun schiitische Milizen mit iranischen Waffen auf dem Boden präsent zu sein und die Kurden in ihrem Verteidigungskampf zu unterstützen.
Die türkische Armee konnte vor allem im Südosten, im sogenannten Afrin-Tal, vordringen. In der Nähe der etwa 15.000 Einwohner zählenden Stadt Jinderes wurden viele Dörfer und Hügel erobert, darunter Iksah, Naririyah, Dakan, Sahuljuk, Juqali Al-Fawqaniyah, Juqali Al-Tahtaniyah und Juqali Al-Wastaniyah. Mit diesen neuen Fortschritten befindet man sich nur noch wenige Kilometer von Jinderes entfernt und bedroht den Ort damit, von drei Seiten eingeschlossen zu werden. Mit der Eroberung von Jinderes würde der Weg bis zur Stadt Afrin relativ offen stehen, da sich von dort aus lediglich das Afrin-Tal erstreckt, während in den restlichen Gebieten Hügel und Gebirge dominieren. Zudem wurde nun eine gemeinsame Front mit Süd-Afrin geschlossen
Im restlichen Afrin waren die Gefechte hingegen nur lokal beschränkt, die TFSA konnte das Dorf Sarangal bei Raju sichern. Die Volksverteidigungseinheiten veröffentlichten ein Video, in dem die Zerstörung eines türkischen Truppenpanzers zu sehen war. Inzwischen starteten die türkischen Luftstreitkräfte wieder Luftangriffe und zerstörten u.a. ein Waffenlager bei Jinderes, aber auch Dörfer bei der ansonsten ruhigen Ostfront wurden getroffen.
Es kam erneut zu dem Vorwurf seitens der Opposition, die Kurden hätten Giftgas auf Verteidigungspositionen der eigenen Kämpfer eingesetzt, wobei es sechs Fälle von Erstickung gab. Bereits am 6. Februar gab es einen gleichen Vorwurf, wonach die YPG Chlorgas in Form von Mörsergranaten in Afrin einsetzt. Scheinbar erhofft man sich einen ähnlichen Aufschrei wie bei den regulären Anschuldigungen eines Giftgaseinsatzes von Seiten der syrischen Regierung.
Die türkischen Streitkräfte haben am Samstag ihre bisher größten Verluste zu beklagen, alleine an einem Tag starben elf Soldaten, wodurch sich die Anzahl der getöteten Soldaten insgesamt auf 31 laut dem türkischen Verteidigungsministerium erhöht, dessen Verlustangaben bisher vertrauenswürdig sind. Weitere 20 wurden verletzt, die Meisten sollen von der gleichen Brigade stammen. Es wurden offiziell kaum nähere Informationen über die Umstände der Tode veröffentlicht, nur dass sie beim Kampf gegen die YPG gefallen sind. Wie in der Vergangenheit wurden die Soldaten wohl durch Artilleriefeuer und die Zerstörung von Militärfahrzeugen umgebracht.
Türkischen Medien zufolge sind die Tode durch einen Mob von 70 bis 80 Zivilisten verursacht worden, die in einem neulich eroberten Dorf auf mehrere Kommandos der Armee zugingen und sie daraufhin angegriffen haben. Unter den Zivilisten sollen sich zudem Schläferzellen der Volksverteidigungseinheiten befunden haben, die dann Granaten warfen. Für diese Behauptung gibt es keinerlei Beweise und entspricht keinen üblich bekannten Taktiken, ist also wohl nur eine reine Erfindung.
Zumindest zwei davon sind bei dem Absturz eines Angriffshubschraubers gestorben, der zu dem Zeitpunkt in Afrin operierte. Ein von den Volksverteidigungseinheiten veröffentlichtes Video zeigt den Absturz und den Rauch, der daraufhin aufsteigt. Aus dem Video ist kein Fremdeinwirken zu entnehmen, ein technischer Defekt ist also prinzipiell auch möglich. Die türkische Führung und YPG sprechen aber vom erfolgreichen Abschuss, möglicherweise durch die tragbaren MANPADS.

In Jinderes kommt es nun vermehrt zu Meldungen und Videos, die den Einsatz iranischer Waffen und Ausrüstung zeigen. In Jinderes wird mindestens ein iranischer Safir-Jeep als provisorische Artillerie eingesetzt. Dies stärkt den Eindruck der iranischen (und russischen Unterstützung) für die Kurden in Afrin, nachdem bereits dutzende Panzerabwehrwaffen (ATGMs & TOWs) aus iranischer Bauart stammen und scheinbar auch iranische 107MM-Raketen von den Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) genutzt werden.
Die Frage bleibt nur, ob es sich um eine staatliche Unterstützung handelt oder der Waffeneinsatz nur das Ergebnis eines weitreichenden Schmuggels zwischen Afrin, der syrischen Regierung und gar der Opposition in Idlib ist. Es gibt einige Berichte über die Präsenz von schiitischen Kämpfern aus den schiitischen Grenzstädten Nubl und Zaahra, die ein besonders Verhältnis zu den Kurden in Afrin besitzen. Bis 2016 waren beide Orte von der Opposition belagert, nur von Afrins Seite kam es zu einem regen Handel und Schmuggel von Waren über die Grenze. Dafür scheinen sie sich nun in Kämpfen zu revanchieren. Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass diese schiitischen Kämpfer sich absolut unabhängig von der syrischen oder anderen Regierungen dazu entschlossen haben, auch wenn dieser Schritt im Interesse ebendieser Regierungen fällt.
Beide Seiten kompensieren die Verluste mit dem Erreichen neuer Einheiten und Gruppierungen aus ihren Heimatregionen. In den letzten Tagen und Wochen wurden immer mehr türkische Spezialeinheiten in der Nähe der syrischen Grenze gesichtet, die mithilfe von Transportflugzeugen ihr Ziel erreichten. Auf türkischer Seite werden Eliteeinheiten wie das 56. Regiment an die Grenze gezogen, welche bereits in der Vergangenheit erfolgreich gegen die PKK in der Türkei operieren konnte. Ihre Erfahrung im gebirgigen Terrain wird in der Bergregion von Afrin sehr hilfreich sein. Die vermehrten Tode von türkischen Soldaten sind Indikator für die tiefere Beteiligung der türkischen Armee in Operation „Olivenzweig“. Die TFSA selber wird ebenso vielfältiger, islamistische Gruppierungen wie Nour al-Din al-Zenki oder Tahrir al-Sham kündigten ihre Bereitschaft in dem Falle an, sollte eine neue Front in Süd-Afrin eröffnet werden.
Die YPG/SDF hingegen erhielt von Nordostsyrien reguläre Unterstützung und auch internationale, kommunistische Kampfverbände. Die Einheiten nutzten das syrische Regierungsterritorium im Norden der Provinz Aleppo, welches Afrin und das restliche Gebiet der SDF miteinander verbindet. Es stellt den einzigen Weg zu Afrin dar, die restlichen Gebiete werden von der Türkei oder mit ihnen verbündeten Gruppierungen kontrolliert.