Nach nur zwei Tagen scheint die oppositionelle Gegenoffensive auf die neu eroberten Gebiete der Syrisch-Arabischen Armee (SAA) in der nordwestlichen Provinz Idlib gescheitert zu sein. Territorial konnte die Opposition lediglich eine handvoll an Dörfern erobern und nur Wenige davon auch halten. Beide Seiten erlitten hohe Verluste bei den Gefechten, wobei die syrische Armee siegreich aus der Situation hervorgehen konnte. Die Gegenoffensive war eine Reaktion auf die enormen Fortschritte der SAA, weite Gebiete der Provinzen Idlib, Hama und Aleppo von der Opposition unter die Kontrolle der syrischen Regierung zu bringen.
Im Unterschied zum ersten Tag beteiligte sich nun auch Tahrir al-Sham (ehemals bekannt unter den Namen Jabhat Fateh al-Sham und al-Nusra) an der Offensive und startete eigenständig eine Operation nahe Abu Duhur und nordöstlich von Sinjar, etwas weiter nördlich von dem gestrigen Vorstoß der Opposition.

Der Angriff wurde mit dem Einsatz von zwei Selbstmordattentätern von Tahrir al-Sham gestartet. Im Gegensatz zu regulären Fällen wurde hier aber kein mit Sprengstoffen gefülltes Auto (SVBIED) genutzt, sondern ein umfunktionierter sowjetischer Schützenpanzer des Typs BMP-1. Es existieren widersprüchliche Berichte über den Erfolg dieses Einsatzes, Armeequellen sprechen von der erfolgreichen Zerstörung bevor die Autobombe ihr Ziel erreichen konnte.
Der Angriff wurde bei den Dörfern Rubayah und al-Khuraybah gestartet, südwestlich von Abu Duhur. Ziel war wahrscheinlich die Stadt Sinjar, um die wichtigste Nachschublinie nach Abu Duhur zu durchtrennen und die Armee zu demoralisieren. Der Vorstoß wurde aber direkt bei Rubayah und al-Khuraybah gestoppt, bisher ist unklar welche Seite die beiden Dörfer hält. Damit ist dieser einzelne Vorstoß von Tahrir al-Sham in ein volles Fiasko geendet, einziger „Gewinn“ sind die Verluste des Gegners.
Ein ähnliches Szenario ergibt sich weiter südlich, wo ursprünglich die Gegenoffensive gestartet wurde. Nach einem Tag wurde ersichtlich, dass die Opposition lediglich vier Dörfer von der Armee erfolgreich erobern konnte, namentlich Umm al-Khalakhil, Atshan, Zurzur und Mushayrifah. Im Verlaufe des Tages wurden alle mit der Ausnahme von Atshan wieder von der Armee wiedererobert. Nachdem Soldaten Atshan wiedererobert haben soll Jaish al-Izzah (FSA) einen Gegenangriff gestartet und die Stadt erneut gesichert haben.
Auch wenn die derzeitigen Versuche schlecht für die Opposition aussehen, so kann sich jederzeit eine neue Dynamik entwickeln und syrische Rebellen zumindest temporär einen strategischen Gewinn erzielen. Die Gegenoffensive ist noch nicht beendet.
Besonders interessant bei dieser Gegenoffensive sind die involvierten Gruppierungen. Neben den bereits erwähnten islamistischen Tahrir al-Sham und Ahrar al-Sham gibt es ebenfalls „moderatere“ Kräfte wie Jaish al-Nasr, die 1th Coastal Division (FSA), Jaish al-Nokhba (FSA), die aktiv von der Türkei unterstützt werden. Videos zeigen sogar türkische Militärfahrzeuge wie den Panthera F9, welcher von Faylaq al-Sham operiert wird. Mehrere Stunden später veröffentlichte Videos zeigen zumindest ein derartiges Fahrzeug, welches von der syrischen Armee gesichert wurde. Ebenfalls aktiv ist Nour al-Din al-Zenki (bekannt für ihre Enthauptung eines Kindes in Aleppo) und die international als terroristisch eingestufte chinesische „Islamische Turkestan-Partei“ oder die tschetschenische Ajnad al-Kavkaz.
Die syrische Armee hat einige Verluste zu verzeichnen, Rebellen haben mindestens 16 Soldaten gefangen genommen. In einem unbekannten Dorf kapitulierten mehrere Soldaten, wurden jedoch kurz darauf direkt exekutiert. Die Armee verlor mehrere Transporter und Panzer, teilweise zerstört oder erbeutet. Die Opposition soll angeblich insgesamt 70 Kämpfer verloren haben, hinzu kommen vier Panzer und Dutzende Fahrzeuge, die wiederum erbeutet wurden (unbestätigten Berichten zufolge auch das Panzerfahrzeug „Panthera F9“ aus den Vereinigten Arabischen Emiraten). Die russischen Luftstreitkräfte bombardierten feindliche Stellungen und scheinen ihre Angriffe intensiviert zu haben.

In der Provinz Aleppo konnten Einheiten der Armee unabhängig von den Ereignissen in Idlib viele Dörfer erobern und damit die Front verkürzen. Erstmals wurde eine Operation südlich von al-Safirah gestartet, wo Dutzende Ortschaften gesichert wurden, darunter Umm Anaksh, Salihiyah, Husayn Dahir, Tall Siloah, Jib Atnash Faqani, Jib Atnash Tahtani, Sohour, Hordana, Asadiya, Huwair al-Hoss und al-Bannawi.
Westlich von der Stadt Khanaser wurden hingegen die Siedlungen Eluf, Umm Gharaf, Umm Ghabar, Sabihat, Eitatan und Umm Sanabil nach kurzen Kämpfen erobert. Damit sind dortige Truppen nur noch etwa fünf Kilometer von verbündeten Einheiten südöstlich von Abu Duhur. Deren Zusammenschluss würde die Einkesselung eines großen Gebietes in Hama und Aleppo bedeuten, welches teilweise von der Opposition und dem Islamischen Staat gehalten wird.
Der Islamische Staat nutzte den Konflikt zwischen Armee und Opposition aus und eroberte mehrere Dörfer in Süd-Aleppo, nachdem sie von der Opposition verlassen wurden. In zwei Tagen in Folge wurden erstmals Berichte und Videos von offiziellen IS-Medien aus der Region veröffentlicht. Sie zeigen gefangen genommene (jeweils vier und ein) Soldaten, die angeblich nahe Abu Duhur überfallen worden sein. Damit kontrolliert der Islamische Staat weite Teile des zukünftig eingekreisten Gebietes.