Während der Islamische Staat in seinem Kernterritorium in Syrien und dem Irak nahe vollständig besiegt wird, konnte ein anderer Flügel des IS immer mehr Boden gewinnen. In Afghanistan wächst der Islamische Staat zu einer ernsthaften Gefahr, sowohl für die vom Westen unterstützten Regierung als auch für die Taliban.
Der vor sechs Monaten in der afghanischen Provinz Jawzjan ausgerufene Zweig des Islamischen Staates mit dem Namen „Wilayat Khorasan“ (ISKP), benannt nach dem antiken Gebiet welches Afghanistan, Teile Pakistans, Irans und Turkmenistans umfasst, stellt sich nach seinen bisherigen Verlusten im Nahen Osten als stärkstes Überrest des Kalifats heraus. Seit seiner Existenz konnte es eine bedeutende Präsenz in den Provinzen Jowzjan, Nangarhar, Kunar und Paktia aufbauen, entweder an der pakistanischen Grenze oder im Norden des Landes.
Großen Zuwachs erhielt die ISKP im Oktober. Der prominente Taliban-Kommandant Qarit Hekmat lief in der Provinz Jawzjan über und ist heute Anführer des wohl aktivsten Flügels der ISKP. Mit ihm schlossen sich 400 weitere Kämpfer dem Islamischen Staat an, darunter aus China, Usbekistan und Pakistan. Das kontrollierte Gebiet hat seitdem einen dramatischen Wandel erlebt. Viele Frauen sollen sie zu Sklaven gemacht haben, Kinder lernen nun an der Schule den Umgang mit Waffen und Sprengstoffen. Insgesamt sollen durch die Repressalien und den Kämpfen der UN zufolge über 100.000 Zivilisten aus ihren Dörfern geflüchtet sein.
Im selben Monat versuchten die Taliban den desertierten Kommandanten zu töten und das verloren gegangene Gebiet wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies aber scheiterte und stattdessen startete Hekmat eine Gegenoffensive, die zur Eroberung der Region um Qush Tepa führte. Trotz mehrerer Taliban-Offensiven mit der Unterstützung von Kämpfern aus dem ganzen Lande musste man sich aber geschlagen geben. Selbst die Regierung gibt zu, dass in dem Gebiet hauptsächlich zu Kämpfen zwischen der Taliban und dem Islamischen Staat kommt, die Armee ist nicht daran beteiligt.
Schwere Kämpfe gibt es zwischen dem IS und der Taliban in nahezu allen Provinzen, wo der Islamische Staat auch um sein Einflussgebiet kämpft, neben dem bereits erwähnten Schlachten um Jawzjan kommt es auch in den an Pakistan grenzenden Provinzen um Nagarhar und Laghman zu Gefechten. Im Khogyani-Distrikt beispielsweise beklagen beide Seite rund 20 Tote und Verletzte, am 11.November starben 11 Kämpfer.
Die afghanische Armee und westliche Koalition sind hingegen eher Beobachter im Kampf gegen den Islamischen Staat. Über mehrere Monate hatte das afghanische Verteidigungsministerium angekündigt den Islamischen Staat aus der Provinz Jawzjan zu vertreiben, nur um dann die erwartete Operation zu verschieben, zum Vorteil des IS der dadurch seine eroberten Gebiete konsolidieren kann. Einzig regelmäßig kommt es zu Luftschlägen auf gegnerische Positionen, am 6. Dezember wurden 25 IS-Kämpfer bei Nangahar getötet, darunter angeblich zwei Ausländer. Die Nähe zur afghanischen Hauptstadt Kabul lässt ist aber auch die Armee aktiv werden, große Fortschritte konnten aber noch nicht erreicht werden.
Der Islamische Staat kann davor und auch dank Hekmat finanziell auf mehrere Einkommensquellen zurückgreifen, neben Steuereinnahmen besitzt die Provinz Jawzjan riesige Vorkommen an etlichen Ressourcen. Neben Edelsteinen wie Diamanten und Smaragden gibt es große Mengen an Uranium und Erdöl, die Halima Sadaf zufolge, einem Mitglied des provinzialen Rates, vom Islamischen Staat ausgebeutet werden können. In dem unter der Kontrolle des IS stehenden Bezirk Darzab gibt es insgesamt 18 Minen, die höchste Anzahl in Afghanistan. Außerdem sollen sie Zugang zu mehreren Kulturstätten besitzen, der Schmuggel von Kulturgütern war bereits in Syrien und dem Irak äußerst lukrativ.
Auch international erhält die ISKP Zuwachs. Es gibt vermehrt Berichte und Zeugenaussagen von mehreren internationalen Kämpfern aus Europa, Afrika und Asien. Mehrere französische IS-Kämpfer sollen sich vom Irak nach Nordafghanistan begeben haben. Hinzu kommen algerische, tschetschenische und usbekische IS-Kämpfer, darunter zwei Frauen. Unklar ist die genaue Anzahl an Kämpfern, auch wenn sie im dreistelligen Bereich liegen sollte. Bewohner des Dorfes Bibi Mariam berichten von 200 Ausländern, die in der Nähe ein Trainingslager errichtet haben. Auch wenn die Attraktivität für ausländische Islamisten zunehmen sollte wird sie wohl kein Niveau wie Syrien & Irak erreichen, allein schon wegen der Entfernung und fehlenden Infrastruktur.
Auch Kinder finden sich in den Reihen des Islamischen Staates, die Berichte reichen von 50 bis 300 Kindersoldaten allein in der Provinz Jawzjan. Primär werden sie einfache Aufgaben wie die Überwachung übernehmen, aber ähnlich wie im nahen Osten werden sie als Selbstmordattentäter eingesetzt. Bereits zu Propagandazwecken wurden sie vor einem Jahr eingesetzt, wo mehrere „Spione der Taliban und afghanischen Armee“ von Kindern exekutiert wurden.
Der Islamische Staat in Afghanistan wird also expandieren und die Arbeit fortführen, die in anderen Ländern wie dem Irak, Syrien, Libyen oder den Philippinen gescheitert ist. Die ISKP wird sich als vitale Alternative gegenüber den Taliban positionieren und womöglich aufgrund interner Konflikte und Meinungsverschiedenheiten weiterhin Zulauf erhalten. Der Westen scheint hingegen bisher keine wirkliche Taktik entwickelt zu haben, wie man nun gegen den Islamischen Staat vorgehen soll. In absehbarer Zeit wird der IS also nicht verschwinden.
Der Islamische Staat expandiert in Afghanistan aus den gleichen Gründen wie es in Syrien, Libyen und dem Irak geschah. Weil es nämlich so gewollt ist.
Die militärischen Potenziale von Resolute Support werden ebenso wenig für eine effektive Bekämpfung der Terroristen (und das sind sie ja) genutzt, wie das Inherent Resolve in Syrien getan hat. Das Gegenteil ist der Fall. Der Fall Afghanistan ist eines der kommenden Themen, das ich in der Zukunft intensiv untersuchen werde, um dieses schmutzige Spiel, dass der Westen dort seit Jahrzehnten spielt, transparent zu machen.
Herzliche Grüße, ped43z
LikeLike