Zwei neulich veröffentlichte Studien zeigen die Ansichten der drei großen Gruppierungen (Kurden, arabische Sunniten & Schiiten) im Irak über die derzeitige irakische Regierung und den Islamischen Staat. Entgegen medialer Darstellung eines sunnitisch-schiitischen Konfliktes und einer sogenannten „schiitischen Regierung“ sehen gerade die Sunniten die irakische Regierung am positivsten und die Gefahr des Islamischen Staates am größten. Schiiten hingegen sind äußerst pessimistisch eingestellt und die Kurden zeigen keinerlei Sympathien für die irakische Zentralregierung.
Eine Studie wurde vom „National Democratic Institute“ (NDI) veröffentlicht und zeigt die Lage Situation im Frühling. Insgesamt wurden 1338 Personen befragt: 293 aus der Provinz Bagdad, 500 vom Südirak, 363 im Westirak (200 davon in Mossul) und 184 in Kurdistan. Die zweite Umfrage stammt vom arabischen Sender al-Mustakilla (AFR), es gibt jedoch nur teilweise einsehbare Zahlen, die bei der Washington Post zusammengefasst sind. Leider gibt es auch keine Zahlen zu der Zusammensetzung der Befragten. Auch wenn es verschiedene Nuancen zwischen den beiden Studien gibt lässt sich ein klarer, wie bereits oben beschriebener Trend erkennen.
Zwischen den beiden Umfragen wurden ähnliche Fragen gestellt, Eine davon ist die Frage ob sich das Land in die „richtige Richtung“ bewegt. Bei AFR bejahten dies 51% aller Sunniten, 36% aller Schiiten und nur 5% der befragten Kurden. Ähnliches Ergebnis bei NDI: Insgesamt ist man für 39% vs. 59% auf dem richtigen Weg. Städte waren mit 41% optimistischer als Dörfer (32%). Regional sind gerade die sunnitischen Gebiete im Westen mit 64% am positivsten, vergleichsweise sieht Bagdad und der Südirak beide die Zukunft mit 63% schwarz, Kurdistan sogar mit 95%. NDI hatte die Frage ebenfalls nach Jahren gestaffelt, im Februar 2012 gab es die größte positive Reaktion mit 48% und im Januar 2016 mit 10% am schlechtesten.
Die Kurden wurden laut den Angaben seit dem Regierungsantritt von Nouri al-Maliki immer wesentlich negativer gegenüber der Regierung. Gründe hierfür sind u.a. Territorialkonflikte, über Finanzen, die Peschmerga und Ölexporte. Die Sunniten hingegen sind mehrheitlich darüber froh, vom Islamischen Staat befreit oder verschont worden zu sein. Schiiten sind hingegen „ihres“ Sieges über den IS und der Verschonung durch den Krieg zu etwa 2/3 unzufrieden. Sie sind weiterhin die größten Opfer von terroristischen Angriffen, schiitische Politiker und Geistliche werden zunehmend militanter und polarisierend, eine generelle Enttäuschung mit der herrschenden Politik aufgrund von Vetternwirtschaft und Korruption ist weit verbreitet. Außerdem sind ihre Gebiete trotz enormen Ölreichtums Eines der Ärmsten, für viele Mitglieder gibt es nur noch einen Weg als Kämpfer für schiitische Milizen, oder der Armee.
Bewegt sich der Irak in die richtige Richtung? (AFR)
Sunniten |
51% |
Schiiten |
36% |
Kurden |
5% |
Bewegt sich der Irak in die richtige/falsche Richtung? (NDI)
|
Richtige Richtung |
Falsche Richtung |
Insgesamt |
39% |
59% |
Städtisch |
41% |
57% |
Ländlich |
32% |
64$ |
Baghdad |
36% |
62% |
Süden |
35% |
62% |
Westen |
64% |
34% |
Kurdistan |
3% |
95% |
Der zweite Teil der Studien widmete sich dem derzeitigen irakischen Premierminister Haider al-Abadi. Seine Beliebtheitswerte sind derzeit relativ hoch, er genießt die Unterstützung von 71% aller Sunniten und 62% der Schiiten. Die NDI-Umfrage unterteilt nicht und gibt die Beliebtheit mit 59% an. Wie üblich unterstützt der sunnitische Westen ihn mit 78%, gefolgt von Baghdad mit mit 64% und den Süden mit 57%. In der kurdischen Region unterstützen ihn etwa 18%. Anfang 2015 hatte er eine Beliebtheit von 75%, die stufenweise immer weiter gesunken ist und mit 33% im Januar 2016 seinen Tiefstand erreichte. Danach ging es wieder aufwärts.
Gründe für die anfängliche Beliebtheit war der einfache Fakt, dass er nicht al-Maliki war. 2015 und 2016 gab es wachsende Proteste, besonders von schiitischer Seite vom nationalistischen Geistlichen Moqtada al-Sadr, der sich inzwischen Saudi-Arabien annähert. Später brüstet er sich mit den militärischen Siegen gegen den Islamischen Staat, was seine Beliebtheit bis dato anstiegen ließ. Die Kurden sind grundsätzlich negativ gegenüber Personen eingestellt, die in Baghdad regieren.
Wesentliche Unterschiede gab es bei den Studien um die Beantwortung der Frage, ob der Islamische Staat wieder auferstehen könnte. Laut AFR könnte es für 68% der Sunniten und 38% der Schiiten geschehen, bei NDI sind es 58%. Die Fragestellung war zwischen den beiden Aufträgen verschieden, NDI fragte generell und AFR stellte die Frage, ob er es „in deiner Stadt“ könnte. Gerade Kurdistan (91%) und Baghdad (74%) fürchten ein Comeback. Im Vergleich dazu sind es nur 44% im Süden und 49% im Westen, welches das Ursprungsgebiet des IS ist.
Wird der IS in deine Stadt zurückkehren? (AFR)
Sunniten |
61% |
Schiiten |
38% |
Bist du über ein mögliches Comeback des IS und anderer, militanten Gruppen im Irak besorgt? (NDI)
|
Sehr/Etwas |
Wenig/Gar nicht |
Insgesamt |
58% |
40% |
Baghdad |
74% |
25% |
Süden |
44% |
55% |
Westen |
49% |
50% |
Kurdistan |
91% |
6% |
Die letzte gemeinsame Frage war die, was mit Hashd al-Shaabi geschehen sollte. Hashd al-Shaabi (Volksmobilisierungseinheiten) ist ein Dachverband an verschiedenen Milizen im Irak. Mehrheitlich besteht sie aus schiitischen Gruppierungen und kleinere Teile erhalten ebenfalls Unterstützung vom Iran. Dennoch ist ein nicht zu verachtender Teil ebenfalls sunnitisch. Vor wenigen Monaten stimmte das Parlament einstimmig dafür, sie offizieller Teil der irakischen Streitkräfte zu machen. Sie erwies und erweist sich als effektive Kraft gegen den IS. Von westlichen Medien werden sie polemisch als Handlanger und subversive Kräfte des Irans bezeichnet.
Bei AFR waren 45% der Sunniten und 42% für eine intensivere Integration in die Armee. Für 35% der Sunniten und nur 5% der Schiiten sollte sie vollständig aufgelöst werden. In der NDI-Studie wollten 40% Hashd entweder aufgelöst oder in die Armee integriert sehen. 23% sind für noch mehr Macht als separater Teil der Streitkräfte, 7% für eine Rückkehr in ihre Heimatprovinzen und andere 7% für eine Präsenz in den ehemaligen Gebieten des IS. Nur zwei Prozent der Kurden sehen Hashd positiv, was an ihrer Treue zur irakischen Zentralregierung zurückzuführen ist. Besonders regional gibt es Unterschiede, im Westen des Landes wird sie von 60% der Leute positiv gesehen, 90% in Baghdad und sogar 100% im Süden. Besonders für Schiiten werden die Volksmobilisierungseinheiten als die Beschützer ihres Landes und ihrer Leben betrachtet, nachdem die irakische Armee 2014 zusammengebrochen ist. Zuletzt sehen 76% der Kurden sie negativ, da sie laut den Kurden für religiöse Spannungen sorgen.
Was sollte in Zukunft mit Hashd geschehen? (AFR)
|
In die Armee integrieren |
Auflösten |
Sunniten |
45% |
35% |
Schiiten |
42% |
5% |
Was sollte mit Hashd passieren nachdem das Land vom IS befreit wurde? (NDI)
Aufgelöst oder in die Armee integriert |
40% |
Mehr Macht als separate Militärmacht |
23% |
Aufgelöst |
16% |
Status Quo aber Rückkehr in ihre Provinzen |
7% |
Status Quo aber nur in Gebieten des IS verbleiben |
7% |
Status Quo aber nur in Provinzen wo der IS nicht aktiv war |
5% |
Wie ist deine Position gegenüber Hashd? (NDI)
|
Positiv |
Negativ |
Wandel seit Januar 2016 |
Insgesamt |
74% |
19% |
7% |
Baghdad |
90% |
6% |
-4% |
Süden |
100% |
0% |
+2% |
Westen |
60% |
28% |
+22% |
Kurdistan |
2% |
76% |
0% |
Die größte und wichtigste Information von diesen beiden Umfragen ist der Wandel der Sunniten. Unter Maliki fühlte sich die sunnitische Opposition immer weiter marginalisiert, die USA unterstützte ihn bei seinen „Säuberungen“, wo besonders die noch in den Kommunalwahlen von 2009 angetretene sunnitische Partei „Sawha“ unterdrückte wurde. Viele sunnitische Stämme gingen 2014 einen Deal mit dem Islamischen Staat ein unter der Hoffnung, eine Beteiligung unter der Regierung zu erhalten. Doch sie wurden getäuscht und der IS regierte hart und unterdrückte die Sunniten und Stämme selber. Unter al-Abadi hat sich vieles verändert. Die Frage ist nur: Kann dieses Vertrauen nach dem militärischen Sieg gegen den IS aufrecht erhalten werden? Was werden die Kurden nach ihrem Referendum unternehmen? Was wird die Regierung dagegen tun? Wird es zu einem schiitischen Aufstand kommen? Abgesehen von militärischen Siegen kann al-Abadi nicht viel vorweisen, sein Land leidet unter einem großen Handelsdefizit. All diese Fragen und deren Antwort darauf werden den Weg des Iraks beeinflussen.
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